- „Jetzt bloß nach Hause“, bemerkt Glafira Semjonowna, als sie das Aus-
lungsgelände verlassen“, ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten.
Ist ja auch kein Spaß, die ganze Nacht im Waggon kein Auge zugetan und
heute den ganzen Tag unterwegs. Jetzt fahren wir nach Hause, bitten um
den Samowar, kochen uns einen schönen Tee und essen Brötchen dazu...
Tee habe ich ein ganzes Pfund...“.
- „Meinst du, die haben da einen Samowar im Hotel?“ überlegt zweifelnd
Nikolai Iwanowitsch.
- „Hier, bei den Franzosen? Alter, das sind doch keine Deutschen, wie
sollten die keinen haben...Weltausstellung, Zentrum europäischer Zivilisa-
tion...ich glaube, außer Vogelmilch gibts hier alles...nun, lass uns fahren,
Nikolai Iwanowitsch“.
- „Wir mieten einen Kutscher...guck, da steht schon einer... Cocher!“
- „Oui, Monsieur“, antwortet der und fragt: „Quelle rue, Monsieur?“
Glafira Semjonowna will etwas sagen, schaut aber verwirrt ihren Mann an
und fragt: „Nikolai Iwanitsch, wo sind wir denn abgestiegen?“
- „Was heißt wo? Im Hotel!“
- „Ach was, aber in welcher Straße?“
- „Woher soll ich das wissen? Du bist meine Französin“.
- „Du liebe Güte... da hab ich in der Eile nicht gefragt...“.
- „Das ist nicht dein Ernst - das kann doch wohl nicht wahr sein...“ spricht
mit schwindender Stimme Nikolai Iwanowitsch, „so eine Idiotin!“
- „Ach, und du bist kein Idiot? Warum hast du denn nicht gefragt? Warum
hast du denn geschlafen?“
- „Du hast doch alles geregelt... ich hatte mich auf dich verlassen...“.
- „So ein Schwachkopf... bin ich dein Kindermädchen? Herr im Himmel, was
eine Schlafmütze... weißt du wenigstens den Namen des Hotels?“
- „Ach, Herzchen, woher denn... ich dachte, du kennst ihn... du hast doch
auf Französisch...“.
- „Was muss man groß Französisch können, um den Namen des Hotels
zu erfahren? Warum hast du denn nicht aufs Schild geguckt? Da war
doch bestimmt eine Aufschrift...“.
- „Warum hast du denn nicht geguckt?“
- „Geht das schon wieder los? Na toll, ich schiebe es auf ihn, er auf mich...“.
- „Außerdem, als wir hingefahren sind, hast du doch geguckt, wohin wir
fahren...“.
- „Was heißt denn gucken! Wir sind zusammen in der Kutsche gefahren.
Die war bis oben hin vollgestopft mit Kissen, Zudecks und Koffern... was
kannst du da schon sehen! Ich war überhaupt froh, dass wir irgendwo ein
Zimmerchen gefunden haben, bis dahin gabs ja gar nichts...“.
- „Siehst du, siehst du... aber ich habe Schuld...“.
- „Na sicher, du bist der Mann, du solltest weltmännischer sein...“.
- „Und was machen wir jetzt?“
- „Peinlich, wir müssen eine Kutsche nach Hause nehmen und wissen nicht,
wo wir wohnen!“
- „Warte mal, gegenüber vom Hotel hing doch der rote Eisenhandschuh
über dem Geschäft...“.
- „Das weiß ich auch, aber schick den Kutscher mal in das Hotel
gegenüber des Geschäftes!“
- „Aber vielleicht kennt er das! Probier doch mal! Warte... wie heißt roter
Handschuh auf Französisch?“
- „Gant rouge... aber das wird nicht funktionieren...“.
- „Ich versuchs auf gut Glück...Cocher...в готель, где gant rouge, grand
gant rouge...“ wendet sich Nikolai Iwanowitsch an den Kutscher.
- „Je ne connais pas un tel hôtel, Monsieur, excusez-mois, quelle rue - quel
numéro?“
- „Kennt er nicht, hol ihn der Teufel! Glascha, sag ihm, dass an der Ecke
noch ein Laden für Haushaltswaren war, vor dem eine Alte in roter Haube
gesessen hat!“
- „Une petite rue...au coin est la boutique avec de verre... auprès de готель
un grand gant rouge de ferres... nous s’avons oublié la rue...“.
- „C’est impossible de chercher comme ça votre hôtel, Madame“, entgegnet
der Kutscher lächelnd, „avez-vous la carte de l’hôtel? Donnez-moi la carte
seulement“.
- „Non, non...в том-то и дело, что non. Nous s’avons oublié demander
la carte“.
- „Aber du hast dich doch an irgendwelche Straßen in der Nähe erinnert...
mir vorgelesen...wo irgendsoein Gaston oder Jerome jemanden abge-
stochen hat...“ fällt Nikolai Iwanowitsch ein.
- „Ach, natürlich...“ Glafira Semjonowna wird wieder lebendig, „Rue La
Fayette et Rue Lafitte...“.
- „Voyons, Madame, alors on peut partir...“
- „Mais c’nest pas la Rue La Fayette et Rue Lafitte, mais une petite rue...“
- „Prenez seulement place...“ weist der Kutscher auf die Equipage.
- „Setz dich, Nikolai Iwanitsch, wir fahren bis zur Rue Lafayette und suchen
dort weiter, ich glaube, da gabs drei oder vier Seitengassen...“
- „Zwei, keine vier. Kann ich mich erinnern“.
- „Ach, woher denn. Ich hab mir die Straße gemerkt wegen Jerome und des
Bergmannes Jaques. Nun setz dich endlich“.
- „Ach herrje, was muss man nicht alles mitmachen“ ächzt Nikolai Iwano-
witsch in die Kutsche krabbelnd und zweifelt, als sie losfahren: „Na, wie
wollen wir in der Nacht die Gasse bloß ausfindig machen... ich glaube,
nicht weit vom Hotel war so ein Gitterzäunchen aus Eisen mit Spitzen
dran...“
- „Du spinnst! Das Gitterzäunchen mit Spitzen war am anderen Ende der
Stadt, bei Notre-Dame“.
- „Das lügst du doch! Da stand auch noch ein Junge mit so einem Kreisel...“
- „Idiot - sollen wir jetzt nach dem Jungen mit dem Kreisel suchen? Der
stand da tagsüber, aber jetzt ist Nacht. Aber wahrscheinlich dreht er seinen
Brummkreisel die ganze Nacht durch...!“
- „Das hab ich doch nicht so gemeint, Glascha, was ärgerst du dich denn so?
Schimpfen tust du sogar. Die Menschen ereilt ein Unglück, sie wissen
nicht, wie sie nach Hause kommen, und sie schimpft“.
- „Noch viel zu wenig hab ich mit dir geschimpft, viel zu wenig. Батюшки!
Betrunken bist du, schläfst ja schon ein... warum hast du denn den
ganzen Cognac im Theater weggeschlürft?“
- „Bin nicht betrunken. Nicht im mindesten...“.
- „Aha, nicht betrunken... die ganze Karaffe ausgesoffen...“
- „Karaffe...sag doch was du willst, das war doch keine Karaffe...so welche
Karaffen gibts doch gar nicht... das war eine Warze, aber keine Karaffe,
da war doch kaum Cognac drin...“.
- „Ach du lieber Gott! Jetzt wird ihm schon die Zunge schwer, das merk ich
erst jetzt. Was soll ich denn jetzt machen, besoffen wie du bist? Nachher
bringen sie uns noch zur Rayonwache...“.
- „Nun beruhig dich, Rayonwachen haben sie hier nicht. Hier ist Zivilisation.
Und bei höher Zivilisierten bringen sie Betrunkene nirgendwohin“.
- „Säufer!“
- „Bin kein Säufer! Nein, pardon, Madame“.
- „Sei endlich ruhig“.
Schon bald sind sie in der Rue Lafayette angekommen und der Kutscher
schaut sie fragend an.
- „A Rue Lafitte?“
- „Ce n’est pas loin, Madame“.
- „Tja, wohin jetzt? Wir müssen aussteigen und die Gasse zu Fuß suchen“
entscheidet Glafira Semjonowna, „Cocher! Arrête... nun steig aus, Nikolai
Iwanitsch, und bezahl den Kutscher...“
- „Warum denn aussteigen? Weiter, weiter...“ murmelt Nikolai Iwanowitsch
undeutlich, aber gehorcht schließlich seiner Frau.
- “Батюшки! Du bist dermaßen betrunken, dass du schwankst... nun guck,
was du angerichtet hast: Nacht, fremde Stadt, betrunkener Ehemann...
Was mach ich bloß mit dir...“ zetert Glafira Semjonowna weiter.
Nikolai Iwanowitsch ist in der Tat ein wenig, wie man sagt, mitgenommen
vom Cognac, als er an der Seite seiner Frau durch die Rue Lafitte stolpert,
und bei der Suche nach dem Hotel eindeutig keine Hilfe. Schon bei den
ersten Gehversuchen nach dem Aussteigen kippt er zur Seite und fliegt
gegen die Schaufensterscheibe eines Hutgeschäftes, die er kaum dabei
zerschlägt, was ihn zu dem gemurmelten Kommentar veranlasst: „Hutge-
schäft... da schlag mich tot, an dieses Hutgeschäft kann ich mich nicht
erinnern...wahrscheinlich müssen wir da lang...“.
- „Ach was, erinnert sich nicht.... an was willst du dich denn erinnern, voll
wie eine Haubitze...“ schimpft Glafira, die allerdings kaum die Tränen
zurückhalten kann und ihrem Mann unter den Arm greift, um ihn auf den
Beinen zu halten.
- „Das lügst du... an das Gitterchen mit den Spitzen kann ich mich noch
wunderbar erinnern...genau neben unserm Hotel war das... wo das nur
ist, das Eisengitterchen, mit den Spitzchen...“.
- „Nun geh, geh, alter Säufer...Gott im Himmel, was mach ich bloß mit
einem betrunkenen Ehemann?“
- „Glascha, bin nicht betrunken... bei meinem Gewissen, absolut nicht
betrunken...“
- „Halt die Klappe!“
Aber Nikolai Iwanowitsch gibt keine Ruhe. Auf der Straße ärgert er vorbei-
gehende Jungen und bleibt vor offenen Türen von Geschäften stehen, die
ihre billigen Waren auf Tischen vor den Schaufenstern präsentieren; in einem
dieser Läden ersteht er eine Art Schirmmütze ohne Schirm aus rotem Tuch
mit aufgesticktem goldenen Eiffelturm und setzt sie sich aus unverständ-
lichen Gründen auf den Kopf, den eigenen Hut dabei in der Hand tragend.
- „Willst du jetzt endlich deine dämliche Mütze abnehmen oder nicht - du
machst dich doch zum Kasper!“ schreit ihn Glafira Semjonowna an.
- „Warum denn absetzen? Das ist ein Andenken... für die Erinnerung an den
Eiffelturm... Sollen doch alle sehen, dass der russische Slawe Nikolai
Iwanowitsch...“
- „Besoffen ist? Das ist richtig, das sehen alle“.
- „Nicht besoffen. Warum besoffen? Alle sollen sehen, dass russische
Slawen aus weit entfernten nördlichen Ländern zur Weltausstellung
gekommen sind und mit den Franzosen fühlen! Vive la France!... Glascha!
Wenn du möchtest, rufe ich das dort auf der Kreuzung: Vive la France?“
- „Ruf du nur. Aber sowie du den Mund aufmachst, lasse ich dich los
und haue ab. Und du kannst sicher sein, dass ich weggehe“.
- „Warte, warte.. willst du, ich kann dir das rote Korsett mit Spitzen kaufen,
hier im Fenster...“
- „Brauch ich nicht. Komm“.
- „Warum denn nicht? Das ist mal ein Korsett, so ein Korsett... eine russische
Slawin, und dann noch in so einem Korsett... oder möchtest du eine Kalbs-
haxe? Da hängt eine Kalbshaxe im Laden... Glascha, guck doch... den
Kalbsschinken verkaufen sie hier eingewickelt in Papierhosen mit Spitzen.
Na sowas! Батюшки! Das rohe Kalbshirn liegt in einem Weidenkörbchen
mit Bordüre... Was ein Schlachterladen! Bei uns sind nicht mal die Juwe-
liere am Newski-Prospekt derartig luxuriös eingerichtet... willst du Hirn?
Geben wir im Hotel ab, dass sie uns das morgen zum Frühstück braten...“
- „Müssen wir nur noch finden, das Hotel“.
- „Such das Eisengitterchen, das mit den Spitzen, dann hast du’s“.
- „Nun hör doch auf mit deinem Gitterchen mit Spitzen...“.
- „Ach, ach, schau, ein Fächer aus Pfauenfedern im Fenster... willst du,
dann kauf ich dir den...“.
- „Heut brauch ich nichts mehr. Komm einfach weiter. Also, ich bin völlig
fertig“, bringt Glafira schließlich hervor, „absolut keine Ahnung, wohin wir
noch gehen sollen...“.
- „Ich aber. Geradeaus. Gleich kommt das Gitterchen mit den Spitzen...
Wache... Polizei! Je russe славянин de nord... Glascha! Wie heißt Gitter-
chen mit Spitzen auf Französisch? Da steht ein Polizist an der Ecke...“
Aber hier zieht ihn Glafira Semjonowna, einen Skandal zu vermeiden, in eine
Seitengasse und spricht unter Tränen zu ihm: “Nikolai Iwanitsch! Hast du
komplett den Verstand verloren? So ein Unglück ist uns widerfahren,
unsere Wohnung haben wir verloren und wissen nicht, wo übernachten,
und du machst einen Clown aus dir!“
- „Ich ein Clown? Ich? Ein alteingesessener, ehrwürdiger Staatsbürger und
Kavalier?“
- „Warte mal... ich glaub, wir sind auf der richtigen Spur... Hier haben sie ein
Loch in der Gasse gegraben, daran sind wir vorbeigegangen...“ Glafira
wird lebhafter, „zwei Arbeiter haben noch Erde ausgehoben...“
- „Ja ja, sind wir dran vorbei... und jetzt kommt das Gitterchen mit den
Spitzen...“
- „Jetzt steck dir dein Gitterchen mit Spitzen... quatscht einem mit ein und
demselben die Ohren voll... ja, hier, hier sind wir langgegangen... jetzt
glaub ich um die Ecke, links, dann rechts.. Nun leg mal einen Schritt zu,
trödel doch nicht so ‘rum!“
- „Erst nach links, Glascha, dann nach rechts. Aber weißt du was? Lass uns
doch einfach in einem anderen Hotel übernachten, den Pass habe ich hier
im Mantel... und morgen suchen wir dann unseres...“
- „Nun komm schon...“. Sie zieht ihren Mann in die nächste Seitenstraße:
„Hier sind wir durch, scheint mir... wenn wir jetzt das Haushaltsgeschäft
an der Ecke finden, vor dem die Alte in der roten Haube Socken gestrickt
hat...“
- „Und das Eisengitterchen mit den Spitzen...“
- „Geht das schon wieder los? So, wenn jetzt das Geschäft... nein, hier
nicht...“.
- „So ein Hündchen war da noch, mit einem Ringelschwanz, lief da herum...“
- „Geh doch mit deinem Hündchen mit Ringelschwanz... meinst du, das
spaziert hier den ganzen Tag ... führt wahrscheinlich Gespräche
mit den Anwohnern... O Alkohol, Alkohol! Wohin bringst du den
Menschen?“
- „Trinkst du - stirbst du, trinkst du nicht, stirbst du auch“ antwortet Nikolai
Iwanowitsch, „also trink lieber!“
- „Das Geschäft! Das Haushaltswarengeschäft!“ ein freudiger Ausruf entfährt
Glafira, als sie an die nächste Ecke kommen, „jetzt nach links, nach
links...“
- „Dort muss dann auch das Gitterchen, mit den Spitzen... warte mal,
Glascha, willst du, dann kaufe ich dir dies große Trinkglas da... dann
können wir die Alte auch gleich nach Bier schicken....“
- „Geh weiter, geh schon... dort hängt der rote Eisenhandschuh... Dem
Herren sei Dank, gefunden, gleich kommt unser Hotel...“. Vor Freude
bekreuzigt sich Glafira sogar.
- „Nicht doch, warte... wir müssen erst das Gitterchen...“.
Aber Glafira Semjonowna hört schon nicht mehr hin und schleppt ihren
Mann Richtung Handschuh, der hell im Lichte einer Laterne schimmert.
Beide stehen jetzt allerdings vor der staunenswerten Tatsache, dass es
am gegenüberliegenden Eingang kein Hotelschild gibt.
Glafira zieht den Ehemann zwei, drei Häuser nach rechts, dann nach links - Hauseingänge gibts, aber ein Hotelschild nicht.
- „Ach du mein lieber Himmel! Wo ist bloß unser Hotel abgeblieben?
Glasklar kann ich mich erinnern, dass der Handschuh genau
gegenüber war - aber kein Schild, keine Aufschrift...“ rätselt Glafira.
- „Wo ist denn das Gitterchen m...“
- „Schweig still! Wir fragen beim Handschuhmacher, der müsste das wissen“.
- „Ausgezeichnete Idee, Glascha. Lass uns hineingehen, dann kaufe ich dir
gleich ein Paar... der Besitzer hat mir heute auch erstaunlich gut gefallen,
er hat ein Gesicht, weißt du, als ob er trinkt...“
Der Handschuhmacher steht, wie am Morgen, nur in Weste da: „Vous
voulez des gants, Madame?“
- „Oui, oui, nous achetons des gants...no ditez, je vous prie - où est готель
ici? Nous avons arrêter dans готель et nous avons oublier le numéro.
А Вывески нет. Non ecrit sur la porte... nous russe... nous du Russie...“
erklärt Glafira.
- „Vous desirez les chambres garnier, Madame?“
- „Oui, oui... должно быть, les chambres garnier... там un vieux Monsieur
хозяин, et une vieulle Madame...“
- „Voilà, Madame, c’est la porte...“
- „A pourqoui ne pas ecrit sur la porte?“
- „Ces chambres sont sans ècriteau...“
- „Genau, das ist es... nur ohne Schild...“ freut sich Glafira. Sie sucht sich
ein Paar Handschuhe aus und schiebt ihren Gatten hinaus, der sich aber
noch einmal umdreht und ausruft: „Russe et France.. bouvons le vin
rouge... Vive la France!“
Glascha schubst ihn schweigend vor die Tür. Sie klingeln am abgeschlosse-
nen Eingang und ihnen öffnet der alte Hausherr selbst. Hinten im Treppen-
haus steht die Alte.
Nachdem sie es zu sich in die fünfte Etage - die pariser „troisième“ - geschafft
haben, gedenkt unser Ehepaar, Tee zu trinken und belegte Brote zu verspeisen. Genaugenommen denkt nur Glafira daran, Nikolai Iwanowitsch hingegen
ist ziemlich betrunken und versucht, nachdem er Jackett und Weste abgelegt
hat, die Tänzerin aus dem ägyptischen Theater nachzuahmen und den
berühmten „Danse de ventre“ selbst vorzuführen, welches selbstredend
zu nichts anderem führt als zu orientierungslosem Schwanken von einer
zur anderen Seite. Die Beine versagen ihm schließlich ihren Dienst und
er schließt erschöpft: „Äußerst kompliziert dieser Bauchtanz, besonders
angesichts meines Umfanges“.
- „Hörst du mit deinen Verrücktheiten heute noch auf - oder eher nicht?“
fragt Glafira gereizt.
- „Ich bin ja genötigt, aufzuhören, es klappt ja nicht, wahrscheinlich be-
herrscht nur diese ägyptische Mumie diesen Tanz“.
- „Ein vollkommener Clown! Immer diese Manier bei dir, dich zum Idioten
zu machen, sobald du nur etwas getrunken hast!“ möchte Glafira das The-
ma beenden und klingelt nach dem Zimmerkellner. Ein Mal, zwei Mal, drei
Mal, aber in der Tür zeigt sich niemand. „Schlafen schon alle? Es ist doch
erst 23 Uhr?“
Nach dem vierten Klingeln sind im Korridor Schritte und ein Brummen zu
hören, dann klopft es und der Hausherr schaut herein, mit weißer Nacht-
mütze und weißem Nachthemd, in Filzpantoffeln und ohne Weste.
- „Qu’est-ce qu’il y a? Qu’est-ce qu’il y a? Qu-avez vous donc?“ spricht er
eher verwundert als verärgert.
- „Nous voulons boire du thé... apportez la machine du thé, les tasses et le
tailloir - et encore de бутерброд...“ wendet sich Glafira an ihn.
- „Comment, madame? Vous voulez prendre du thé? Mais la cuisine est
fermeé déja - tout le monde est couché... il est onze heures et quart...“
- „Na toll... gerade 11 Uhr abends und Tee gibts nicht mehr, die Küche ist
geschlossen, alle schlafen... das ist also die Einrichtung in Paris...“ fasst
Glafira zusammen und schaut ihren Mann an: „Dabei habe ich unglaub-
lichen Durst...“.
- „Hmm, Glascha, und wenn wir ein Fläschchen Roten mit Wasser trinken...“
- „Soll ich dir auch zu Hause das Saufen erlauben? Vergiss es. Dann lieber
das kalte Wasser aus der Karaffe hier“.
- „Das kann man doch nicht saufen nennen, Rotwein mit Wasser!“
- „Sei still.“
Der Alte, das Gespräch betreffs des Tees beobachtend und das bekümmerte
Gesicht seiner Gäste bemerkend, stellt sich vor, dass Glafira Semjonowna
vielleicht krank sei und, da in Frankreich aus keinen anderen Gründen Tee
getrunken wird, ihn zu ihrer Genesung benötigte: „Êtes-vous malade,
Madame? Alors...“
- „Как malade? Comment malade? Bin gesund, sehr gesund sogar, Hun-
ger habich. Je veux boire et manger, нельзя du thé, так apportez moi
du pain, du bière et de viande froid. Je demande froid, la cuisine est
fermeé, так apportez moi froid, la viande froid...“
- „C’est impossible, Madame. A présent nons n’avons point de viande...“
- „Как? И de viande froid нет? Was ist das denn für ein готель pour
voyageur, wenn’s nicht mal kaltes Fleisch gibt? Ну, la viande нельзя,
так fromage - fromage и pain blanc“.
- „Seulement jusqu’a neuf heures, Madame, mais a prèsent il est plus de
onze heures, Madame...“ winkt der Alte ab.
- „Haben Sie gehört“, wieder schaut Glafira auf ihren Mann, „nur bis 9
bekommt man hier etwas zu essen - also so ein Hotel...“
- „Sind nur chambres-garnier“, wendet Nikolai Iwanowitsch ein, „versuch
doch, ein Fläschchen Roten zu kriegen, Rotwein haben sie sicher,
da kann die Küche ruhig geschlossen sein, kochen und braten
brauchen sie ihn ja nicht“.
- „Verstehst du nicht - ich hab auch schon nach kaltem Fleisch und Käse
gefragt - gibts auch nicht“.
- „Aber Rotwein bestimmt, den süppeln die Franzosen doch nebenbei..
Vin rouge, Monsieur... apportez vin rouge, можно?“ fragt er schließlich
selbst.
Der Alte ergibt sich: „Oui, Monsieur, je vous procurerai...“
- „Siehst du, siehst du, Roten haben sie“.
- „Ja, wahrscheinlich zum Strümpfe stopfen. Aber ich habe Hunger -
verstehst du: Hunger!“ antwortet Glafira entnervt.
- „Dann frag doch nach Brötchen, wenn nichts anderes da ist - Rotwein mit
Weißbrot ist doch vorzüglich“.
- „Je veux manger, Monsieur“, erneut versucht es Glafira, „Ну, le vin rouge.
Bien. И apportez moi хоть du pain blanc, je veux souper“.
- „Oh, que c’est dommage, que nous n’avons rien pour vous donner à
manger, Madame“, entgegnet der Besitzer und schüttelt mit dem Kopf,
„mais du vin et du pain je vous apporterai tout de suite. Une bouteille?“
erkundigt er sich noch.
- „Deux... deux...“ kräht Nikolai Iwanowitsch, der verstanden hatte, worum
es geht, und hebt zur Sicherheit noch zwei Finger „deux bouteilles..“
- „Non, non, une... seulement une...“ greift Glafira ein und spricht in strengem
Ton zu ihrem Ehemann: „Ich erlaube dir nicht, dich zu betrinken!“
Der Alte ist unsicher: „Une bouteille ou deux?“
- „Une...une“, Glafira erhebt nur einen Finger.
Der Alte verschwindet und bringt nach zehn Minuten ein Tablett mit einer
Flasche Wein, zwei Gläsern, einem großen Stück Brot, etwas Butter und
einem halben Dutzend Pfirsiche: „Voila, Madame, c’est tout ce que nous
avons à présent. Bonne nuit, Madame“, verbeugt er sich und geht.
Glafira Semjonowna beginnt, die Butter auf das seit dem Morgen liegende,
halbtrockene Brot zu schmieren und ruft mit Bitterkeit aus: “Dies ist also
unser Abendessen in Paris, der Stadt, die gerühmt wird für ihre Küche,
aus der verschiedene berühmte Köche zu uns nach Russland gekommen
sind. Guck es dir an: trockenes Brot, ranzige Butter und matschige
Pfirsiche“.
- „Kann ja sein, dass sie hier in Paris gar nicht zu Abend essen, oder?“
wirft Nikolai Iwanowitsch ein, „bei uns gibt es sowas, von Kaluga zum Bei-
spiel wird gesagt, dass die Leute dort kein Abendessen kennen,
frühstücken, dann noch was und ab ins Bett“.
- „Sehr witzig. Halt lieber die Klappe“.
- „Ich weiß nicht, worüber du dich ärgerst, Glascha: Rotwein ist da, Brot ist
da - nun, Gott seis gedankt“.
- „Der Rotwein ist für dich, Alkoholiker, ich wollte Tee. Nein, unter diesen
Umständen müssen wir uns morgen selber einen Spirituskocher kaufen,
Kocher und eine Teekanne aus Metall. Kochen das Wasser und brühen
den Tee selbst - herrlich. Und wir sollten nicht vergessen, uns Brötchen
und закуски für die Nacht zu besorgen“.
- „Soso, wie willst du die denn kaufen, wenn du nicht weißt, was закуски auf
Französisch heißt? Vorhin im Restaurant hast du dich ein wenig dumm
angestellt“.
- „Ach, da gucke ich im Wörterbuch nach“.
Zu Brot, Butter und Pfirsichen trinkt Glafira Semjonowna ein wenig Wein mit
Wasser und legt sich schlafen. Nikolai Iwanowitsch, den Rest der Flasche
hinunterspülend, tut es ihr nach.