Dieses Mal gelingt es unseren Eheleuten, hinlänglich zu frühstücken.
Auf dem Ausstellungsgelände finden sie ein Restaurant, auf dessen Schau-
fenstern in goldenen Buchstaben steht ‘Déjeuner 4 frc’. Glafira weist ihren
Mann daraufhin hin, Nikolai Iwanowitsch rechnet kurz: “ Vier четвертак für
38 Kopeken sind... Komm, gehen wir rein...“
Es werden serviert: Radieschen mit Butter, Fisch in weißer Sauce,
Kalbskopf mit Backpflaumen und Erbsen, Poularde auf Salat, Weintrauben,
Birnen, Käse und Kaffee. Im Preis inbegriffen ist ein kleiner Krug
Rotwein für jeden.
Vor dem Fisch muss Glafira eine Zeitlang überlegen: essen - oder nicht
essen... „Wenn nun Frösche sich darin befänden...“ geht es ihr durch den Kopf.
Sie nimmt den Fisch mit der Gabel vollständig auseinander, und nachdem
eine sorgfältige Prüfung von allen Seiten keine Beinchen zutage förderte,
beginnt sie, zu essen. Die gleiche Untersuchung wird auch dem Kalbskopf
zuteil.
- „Ich weiß, ich weiß, das ist ein Kalbskopf, auf der Karte stand ‘Tête de
veau’“, rechtfertigt sich Glafira, „aber tatsächlich kann man da alles
reinstecken...“
- „Sicher, nichts einfacher als das, wir hatten einmal“ erinnert sich Nikolai
Iwanowitsch, „ein Festessen der Slawischen Bruderschaft in unserem
französischen Restaurant. Die Suppe wird serviert, ich sehe, dass in
ihr Stückchen vom Kalbskopf herumschwimmen und esse sie natürlich.
Ganz normal, schmeckt, vielleicht ein bisschen viel Pfeffer. Neben mir
sitzt Iwan Iwanitsch Antschewski, absoluter Experte in Sachen Essen.
Ist durch ganz Europa gereist, nur um alle möglichen Sachen zu fressen -
marinierte Krokodile, Eidechsensuppe...“
- „Hör auf, sag nicht...“ rümpft Glafira die Nase.
- „Ich werd doch noch erzählen dürfen... also, wie Iwan Iwanitsch sieht,
dass ich die kleinen Fleischstückchen aus der Suppe esse, fragt er:
‘Und, gefällt Ihnen Schildkröte? Einfach wunderbar, oder?’ Mir bleibt der
Mund offen stehen, der Magensaft kommt schon bitter hoch, übel ist mir,
kann mich gerade noch zurückhalten. Man muss sich ja zivilisiert
benehmen. ‘Ist in Ordnung’, sage ich, ‘schmackhaft’. Ja, und wie:
hab’ schon zu schielen angefangen“.
- „In Anbetracht dessen esse ich den Kalbskopf lieber nicht“, entscheidet
Glafira und schiebt den Teller zurück. Nikolai Iwanowitsch kaut weiter
und teilt ihr mit: „Das ist wirklich Kalbskopf, ich hab sogar ein Stückchen
vom Ohr gekriegt...“
- „Schildkröten haben auch Ohren!“
- „Nein, die nicht. Unser Fischrestaurant hat ein durchsichtiges Becken für
Fische, und in der Mitte befindet sich ein Hügel aus Steinen, auf dem die
Schildkröte wohnt, vollkommen ohne Ohren...“ berichtet er seiner Frau,
„aber was diesen Iwan Iwanitsch Antschewki anbelangt: ein erstaunlicher
Mensch. War mal Seemann, ist um die ganze Welt gefahren, und was er
nicht alles schon gegessen hat: Seehundleber, Walhirn, Elefantenbeine...“
- „Hör bitte auf, das ist ja widerwärtig“.
Die Erbsen und die Poularde auf Salat werden von Glafira ohne
Begutachtung verspeist.
Nach dem Bezahlen spricht Nikolai Iwanowitsch: „Nicht wenig haben sie
genommen, aber dafür sind wir auf moskauer Art satt geworden -
deswegen vielen Dank“.
Sie verlassen das Restaurant, als gerade vor ihnen ein Franzose in einer
grauen Nanking-Bluse und blauem, rotbebänderten Kepi eine Art Rollstuhl
vorbeischiebt.
- „Na, möchtest du nicht mit dem Franzosen spazieren fahren?“ schlägt
Nikolai Iwanowitsch seiner Frau vor, auf den fahrbaren Sessel deutend.
- „Naja, wäre nicht schlecht, jetzt nach dem Essen bin ich ganz schön müde“,
antwortet Glafira, „aber ist das nicht peinlich: ein Mensch schiebt einen
anderen?“
- „Du bist eine Dame, aber kein Mensch. Für Männer wäre das genant.
Ey, l’homme!“ ruft Nikolai Iwanowitsch den Franzosen an, „Или как
тебя? Garçon! Нет не Garçon... Glascha! Wie heißt denn Sesselträger
oder -schieber auf Französisch?“
- „Soll ich denn alles wissen? Ich bin doch keine Französin... wink ihn doch
heran, er ist doch schon stehen geblieben...“
- „Ey, ey, Pferdchen auf zwei Beinen, Cheval!“ Nikolai Iwanowitsch winkt
mit dem Regenschirm, der Bedienstete dreht sich mit dem ‘fauteuil roulant’
zu ihm um.
- „Siehst du, auf Pferdchen reagiert er, wahrscheinlich heißen die hier
Chevalier“, bemerkt lächelnd Nikolai Iwanowitsch und zeigt auf Glafira:
„Pour la dame - combien?“
- „Oh, Monsieur, je sais, que Madame sera aimable“.
- „Wieviel? Glascha! Wieviel hat er gesagt?“
- „Nichts hat er gesagt“.
- „Aber feilschen müssen wir, wer weiß, wieviel er uns sonst abknöpft -
Ну, на un Franc Madame покататься? Согласен? Un Franc....“ und
Nikolai Iwanowitsch hebt einen Finger.
- „Oui, oui, Monsieur, je comprends...prenez place, Madame, s’il vous plâit“.
Glafira Semjonowna setzt sich in den Sessel, der ‘Fahrer’ steht hinter ihr und
fragt, wohin es gehen soll.
- „Wohin denn, Nikolai Iwanowitsch?“
- „Ja was weiß ich... einfach geradeaus...“.
- „Прямо, прямо... tout droit...“ kommandiert Glafira.
Der Fahrer schiebt, Nikolai Iwanowitsch schlendert nebenher und parliert:
„Wenn wir wieder zurück nach Petersburg kommen, können wir bis zum
geht nicht mehr angeben: auf einem Franzosen sind wir geritten. Den
kannst du auch deiner Tante Praskowja Kusminischna unter die Nase
reiben: die erzählt dir doch ständig, dass wenn Gott zum Beten nach
Jerusalem reist, er abwechselnd auf einem Esel, einem Ziegenbock und
einem Kamel reitet. Wenn wir zurückkommen, kannst du sagen: ‘Hör mal,
Tantchen, wir sind im Ausland nicht nur auf Eseln, Ziegen und Kamelen
geritten, sondern ich sogar auf einem Franzosen“.
- „Aber wohin reiten wir denn nun, Nikolai Iwanitsch?“ fragt Glafira.
- „Frag doch beim Fahrer, ob’s hier etwas Besonderes zum Anschauen gibt“.
Glafira überlegt und legt sich im Kopf einige Phrasen zurecht: „Ecoutez ...
qu’est-qu’il y a ici remarquable? Montrez nous, je vous prie...“
- „Oh, oui, Madame, les sauvages est-ce que vous avez vu?“
- „Was sagt er, Glascha?“
- „Er meint, wir sollen uns Wilde angucken“.
- „Wilde - ausgezeichnet, soll er uns hinführen... вези, вези...“
- „Nous n’avons pas vu les sauvages... allez... ce bien les sauvages?“
- „Oui, Madame, vous verrez quelque chose d’admirable... ils mangent, ils
dansent, ils chantent, ils travaillent...“ antwortet der Träger und schiebt sie
zum Seineufer.
Bevor sie dort ankommen, ertönt die Stimme des Trägers hinter dem Sessel
erneut: „L’isba russe! Madame, est-ce que vous avez vu l’isba russe?“
- „Батюшки! Tatsächlich, eine russische Bauernhütte... Nikolai Iwanitsch,
hast du die russische изба gesehen - da müssen wir hin!“
- „Unbedingt... ganz sicher sind da welche von den Unsrigen...
Monsieur, держи направо к избе...“
- „A droit, a droit...“ befiehlt Glafira.
Der Träger hält vor einem kleinen Holzhäuschen mit Zierschnitzereien,
das die Rolle einer russischen Hütte übernehmen soll. Gegenüber
befindet sich auf einer Stange sogar ein Starenkasten.
Glafira springt sofort ab und durch die Tür, Nikolai Iwanowitsch
schlüpft hinter ihr ebenfalls hinein.
Genau gegenüber dem Eingang eine Verkaufstheke, hinter ihr
zwei junge Frauen in Kleidern, die entfernt an Sarafane erinnern,
mit geflochtenen Zöpfen, hochgebunden in der Art Timoschenkos,
und mit bunten Ketten um den Hals. Sie verkaufen gedrechselte
Holzfiguren, die Pferde, Ziegen, Männer oder Bären darstellten.
Auf der Theke liegen ebenfalls Rosenkränze und Kreuze sowie
Holzlöffel mit segnenden Händen am Stielende. Auf einem Regal
sind ein Tulaer Samowar zu erblicken, eine billige Schatulle mit
Stanniolverzierung, am Rande mit Eisen beschlagen, sowie mehrere
rote Bastkörbe nowgoroder Arbeit, neben ihm hängt ein Handtuch
mit aufgestickten roten Hähnen und in der Ecke war noch Platz
gewesen für eine dunkle Ikone mit silberner Blumenkrone am
Rahmen, in ein kleines Schränkchen gestellt.
- „Na, hier finden wir schließlich die Unseren, Rechtgläubige, nach
langem Fasten können wir jemanden auf Russisch ansprechen...“
freut sich Nikolai Iwanowitsch und tritt an eines der Mädchen im
Sarafan heran:
„Здорово, землячка, питерская, что-ли, или из Москвы?“
Die junge Dame schaut ihn geradezu aufsässig an und schüttelt ihr Haupt:
„Je ne comprends pas, Monsieur...“
- „Wie - ein russisches Mädchen und spricht kein Russisch!“
Sie schaut ihn nur an und lächelt.
- „Sprechen Sie denn wirklich nicht oder tun Sie nur so, als ob? Tun Sie
nur so?“ beharrt Nikolai Iwanowitsch.
- „Verkleidete Französinnen sind sie - weiter nichts. Jetzt sehe ich sogar
an der Physiognomie, dass es Französinnen sind...“ wirft Glafira ein.
- „Da hol sie doch der Teufel! Eine russische Isba bauen sie auf, aber
russische Mädel können sie nicht herbeischaffen... Na, Mamsell, da
sprechen Sie wahrscheinlich kein einziges Wort russisch?“
- „Savez seul mot la russe?“ übersetzt Glafira.
- „Samowar...Kabak...Kosichka...Tchai...Vodka...lublju stalovatza...“ ist
als Antwort zu vernehmen.
- „Danke, das genügt“, winkt Nikolai Iwanowitsch ab.
- „Achetez quelque chose, Monsieur! Vous aurez le souvenir d’isba russe...“
bietet die Dame noch Spielzeug an.
- „Брысь! Und unterhalten möchte ich mit Ihnen auch nicht mehr...“ er wen-
det sich zur anderen Verkäuferin im Sarafan: „Тоже Франсе? Oder, was
Gott verhüten möge, vielleicht sogar Deutsche?“
- „Nous ne sommes des russes, Monsieur, nous sommes de Paris...“
- „Pfui Teufel!“
- „Voilà le russe... voilà qui parle russe...“ zeigt das Mädchen auf die Drech-
selbank, an der ein Kerl in roten Wollhemd und Lackstiefeln sitzt und mit
einer Art Besteck irgendetwas bastelt. Er grinst, und Nikolai Iwanowitsch
geht zu ihm: „Bist du Russe, ein Landsmann?“
- „Ganz genau, sergiewski Pocad, in der Nähe von Moskau“.
- „Gib mir die Hand! Glascha! Ein Russe, unser Landsmann... gib ihm die
Hand... bisher haben wir in Paris noch kein Russisch gehört....
und fluchen kannst du auch?“
- „Klar doch...“ wieder grinst er.
- „Aber Nikolai Iwanitsch...“ bremst ihn Glafira.
- „Was heißt hier Nikolai Iwanitsch, ich zwinge ihn doch nicht zu fluchen,
ich hab doch nur gefragt... hatte so meine Zweifel...“
- „Doch, bin Russe, der Herr...“
- „Warum haben Sie sich denn hier keine russischen Frauen oder Mädchen
geholt?“
- „Hat man doch nur Scherereien mit denen. Eine hatten wir, na, abgehauen
ist sie...“
- „Wohin denn? Mit wem ?“
- „Na, auch mit ‘nem Russen, soll Kaufmann sein... nach Tirol, in die Alpen,
hat er sie gebracht, was, selber wollte er die Leber kurieren, na, und sie
mit ihm. Anfang des Sommers war das“.
- „Und, gefällt dir Paris?“
- „Das Essen ist schlecht, mein Herr. Щи gibts nicht, und deren wässrige
Suppen stehen mir schon bis hier. Wässerchen gibts auch nicht“.
- „Ja, Bruder, das mit dem Wodka ist eine Schande, hab selber schon
Sehnsucht. Trinkst du wahrscheinlich Vin rouge?“
- „Ach was, kaum. Nun, Cognac gibts, aber das ist nicht die gleiche Musik“.
- „Na komm, gehen wir einen Cognac trinken, Landsmann...“
- „Nein, nein...“ protestiert Glafira, „keine Zecherei hier, so weit kommts
noch... los, wir wollten die Wilden angucken...“
- „Aber das können wir nicht machen, Glascha, mit einem Landsmann
keinen Schluck trinken - das ist doch ein richtiger russischer Mensch!“
- „Nächstes Mal könnt ihr saufen, wir fahren ja nicht schon morgen wieder
ab. Nun komm, Nikolai Iwanitsch!“
- „Wir wollen doch nur ein Gläschen...“
- „Kommt nicht in Frage... mir ging das letztes Mal schon auf den Keks,
dich betrunken durch die Gegend zu schleppen...“
- „Äch..“ stöhnt Nikolai Iwanowitsch, „da hast du Recht, Landsmann,
dass es mit Frauen immer Scherereien gibt, dann machs gut,
wir schauen noch mal vorbei...“
- „Bleiben Sie glücklich, geehrter Herr“.
Nikolai Iwanowitsch reicht ihm die Hand und verlässt, mit Glafira
Semjonowna zankend, die Hütte und der Franzose führt sie weiter,
bleibt aber nach ein paar Minuten an einer Art Schienen stehen:
„Voyons, Monsieur et Madame... Je veux montrerai quelque
chose, que vous ne verrez nulle part - c’est le chemin de fer
glissan...“, sagt er in einem prahlerischen Ton, „c’est ravissant...
vous verrez tout de suite...“
- „Was hat er gesagt, Glascha?“
- „Irgendeine besondere Eisenbahn...“
- „Sans locomotive, Madame!“
In diesem Moment ertönt ein Tuten und der Zug, aus kleinen, offenen
Waggons bestehend, kommt heran. Er hat tatsächlich keine Lok,
und von den Gleisen spritzt Wasser.
- „Wo kommt denn das Wasser her?“ wundert sich Nikolai Iwanowitsch,
„Батюшки - und die Waggons haben gar keine Räder... der fährt nicht
auf Rädern, sondern auf einer Art Bügeleisen... Glascha! Guck dir das
an, rollt auf einem Bügeleisen, na sowas!“
- „Weswegen schreist du denn so?“ unterbricht ihn Glafira, „ist doch ein
Zug wie alle anderen, ich weiß nicht, was daran so Besonderes sein soll“.
- „Was besonders ist!? Das ist die neueste Erfindung, und weißt du, für wen
das gedacht ist? Wahrscheinlich für Betrunkene... dieses Bügeleisen, der
Zug rollt darauf, wie auf Kufen, da können beliebig viele Besoffene aus
den Waggons purzeln, keiner kommt unter die Räder...gegen Unglücks-
fälle ist das gemacht... frag doch beim Franzosen, ob sie das für die
Betrunkenen erfunden haben...“
- „Also ehrlich... soll ich mich nach jedem Unsinn hier erkundigen?“
- „Wie heißen denn Betrunkene auf Französisch - dann frag ich selber“.
- „Allez, катальщик, allez... ce n’est pas ma tasse de thé, à présent les
sauvages...“ sagt Glafira aber nur.
- „Weißt du wieder nicht, wie das heißt - deswegen willst du nicht fragen!“
ärgert sich Nikolai Iwanowitsch, „war in der Pension und weiß nicht, was
besoffen heißt - das gehört ja wohl auch zur Allgemeinbildung!“
Der ‘Katalchik’ schiebt den Sessel mit Glafira Semjonowna weiter.
Bald bemerken sie einen Geruch, der, nach einem Wort Heines,
nichts gemeinsam hat mit Eau de Cologne.
Ihr Fahrer schiebt den Fauteuil zu den steinernen, mit Lehm bestrichenen
Hütten mit flachem Dach eines nordafrikanische Volkes, dessen Angehörige
er als „Wilde“ tituliert.
Unser Ehepaar blickt über niedrige, steinerne Mauern, die an die Hütten
anschließen und jeweils eine Art Hof bilden, auf schnell vorüberhuschende
Männer eines arabischen Stammes, gekleidet nur in schmutzige weiße
Fetzen, barfuß und mit bis zum Knie nackten Beinen, mit schwarzen Bärten,
dunklen Augen und weißen Zähnen. Einige tragen Turban, aber die meisten
sind bis zum Gürtel unbedeckt.
Unter Planen, an den Zäunen befestigt, sind auf Strohhalme gespiesste,
gezuckerte Früchte - Feigen, Mandeln, Nüsse - sowie irgendwelcher bestickter,
bunter Kram ausgelegt, und alles wird in schlechtem Französisch angepriesen:
„De confiture, Madame, a bon marché, a bon marché!“
Ihre Waren ausrufend, beschimpfen sich die Verkäufer in ihrer kehligen Sprache gegenseitig, zeigen die Zähne, heben die Fäuste, und um die Käufer anzulocken, klatschen sie sich auf die
Hüften, pfeifen und krähen wie Hähne.
- „Les sauvages...“ stellt sie ihr Fahrer vor.
- „Wilde...“ übersetzt Glafira, aus dem Sessel krabbelnd, „die müssen wir
uns unbedingt anschauen, komm mit, Nikolai Iwanitsch, rechne mit dem
Franzosen ab und komm“.
Nikolai Iwanowitsch tut, wie ihm geheißen, und sie nähern sich den Lehm-
bauten. Es ist feucht und schmutzig, überall Pfützen von Spülwasser,
Essensreste, Knochen und Schalen von Nüssen und Früchten.
- „Das ist 'ne halbweiße Art von Wilden, keine richtigen. Die richtigen
Wilden sind schwarz“, stellt Nikolai Iwanowitsch fest.
Ein kleiner Araberjunge mit nackten Beinen, vom Kopf bis zur unteren
Körperhälfte nur mit zerrissenen,weißen Fetzen bedeckt, hält Glafira sofort
am unteren Ende ihres Regenmantels fest und spricht etwas in seinem
kehligen Dialekt, sie zur Hütte ziehend. „Dix centimes, Madame,
dix centimes...“ hört man auf Französisch heraus.
Nikolai Iwanowitsch ruft “Брысь“ und schwingt seinen Regenschirm, aber
der Junge läßt sich nicht beeindrucken, und er schaut in gefletschte Zähne
und wie Kohle glimmende, schwarze Augen.
- „Wohin ziehst du mich denn?“ fragt Glafira lächelnd.
- „Dix centimes, et vous verrez notre maison...“
- „Sein Haus will er uns zeigen, müssen wir uns ängstigen,
wenn wir mitgehen?“
- „Ich glaube nicht, wenn irgendetwas passiert, da hinten steht ein Polizist...“
Durch ein noch schmutzigeres Gässchen folgen sie dem Jungen, der sie
zu dem niedrigen Eingang einer Hütte dirigiert, der an aufgehängten
schmutzigen Teppichen vorbei ins Innere führt.
Plötzlich bleibt er stehen, versperrt den Eingang und spricht streng:
“Dix centimes...“ und hält die Hand auf.
- „Nun gib ihm doch das Kupfer, Nikolai Iwanowitsch, zehn Centimes
möchte er, du hast doch noch Kleingeld in der Manteltasche....“
- „Na, zum Teufel, dann führ uns mal hinein...“
Er gibt ihm die Münze, der Junge schiebt die Teppiche beiseite und lässt
Glafira Semjonowna hindurch, baut sich aber vor Nikolai Iwanowitsch wieder
auf: „Dix centimes, Monsieur...“
- „Die hast du Teufelchen doch schon gekriegt!“
- „Dix centimes pour Madame, dix centimes pour Monsieur...“
- „Nikolai Iwanitsch, was ist los, wo bleibst du? Ich bekomme Angst allein...“
klingt es aus der Hütte.
- „Gleich, gleich... nun lass mich doch durch, Teufelsfratze“, schreit Nikolai
Iwanowitsch, schiebt den Jungen zur Seite, zwängt sich durch die Tür und
stürmt zu seiner Frau in die Hütte.
Der Araberjunge heult auf, springt hinter ihm her und hält ihn an der Hand
fest: „Dix centimes, dix centimes...“
- „Der ist ja nicht abzuschütteln... nun warte doch, lass mich gucken, nachher
gebe ich dir, vielleicht sogar mehr...“
- „Dix centimes, dix centimes...“ kann sich der Junge nicht besänftigen und
schlägt seine Zähne in Nikolai Iwanowitschs Hand.
- „Beißen will er! Ach, kleiner verfluchter Teufel, du, verschluck dich dran...“
Eine Münze erhaltend, beruhigt sich der Junge und steckt sie zusammen mit
der anderen sofort in ein Säckchen, genäht aus einem Damenkniestrumpf,
das in Türnähe hängt und schon zur Hälfte voll ist.
- „Also so was! Beißen wollte er mich, der Schlingel...“ erklärt Nikolai Iwano-
witsch seiner Frau.
- „Mit denen muss man wirklich vorsichtig sein, das sind Wilde... aber warum
hat er uns bloß hineingeführt? Hier gibts doch nichts zu sehen“.
Zu sehen ist tatsächlich nichts. Auf einer Strohmatte sitzt eine schmutzige,
dunkle ältere Frau mit einer weißen Kopfbedeckung, nackten Beinen und
nackten, hängenden Brüsten, die einen Säugling stillt. Etwas entfernt sitzt
noch eine junge Frau im Schneidersitz vor einem Webrahmen und arbeitet
an einem Teppich. In der Ecke schnarcht, mit dem Gesicht nach unten auf
einer Matte liegend, ein Araber, aber von ihm sind nur die unbedeckten
Füße mit unglaublich schmutzigen Fersen sichtbar. In der Hütte herrscht ein
Halbdunkel, durch ein kleines, verschmutztes Fensterchen kann kaum Licht
hereindringen, die Luft ist stickig und es riecht nach Windeln und
angebranntem Essen.
- „Tfuu, wie abscheulich! Gehen wir raus...“ verlangt Glafira und zieht ihren
Mann auf die Gasse zurück, auf der schon wieder der Junge um sie herum-
scharwenzelt: „Dix centimes, Monsieur, dix centimes...je vous montrerai
quelque chose...“ ruft er und hält die Hand hin.
- „Wie, sollen wir jetzt noch für den Ausgang bezahlen? Nee, Bruder, das
glaubst auch nur du....“ erregt sich Nikolai Iwanowitsch, „Wache! Wo ist
die Wache...?“
- „Er will dir noch irgendwas zeigen.... gib ihm doch noch eine Münze...
die Ärmsten... müssen betteln...“ erbarmt sich Glafira, nimmt eine Münze
von ihrem Mann und überreicht sie dem Kleinen.
Kaum hat dieser das Geld in Händen, entledigt er sich seiner wenigen Lum-
pen und vollführt nackt einige Purzelbäume auf der schmutzigen Erde. Glafira
Semjonowna spuckt aus und zieht ihren Mann fort.
Die Eheleute gehen weiter und treffen auf immer mehr Araber in deren
weißer Tracht, aber auch in buntfarbigen Kitteln oder einer Art Damenhemd
in Blau. Oben schaut jeweils ein braungebranntes Gesicht mit schwarzem
Bart und weißem Turban heraus, unten schmutzige Fußsohlen an
nackten Beinen.
Einige Araber sitzen im Schneidersitz vor den Häusern und rauchen wichtig
ihre Pfeifen mit dünnen Rohren, andere stehen vor aufgezäumten Eseln,
murmeln etwas in einer unbekannten Sprache, funkeln mit ihren
kohlenschwarzen Augen und klopfen auf die Sättel, um das Publikum einzuladen.
Einer von ihnen, in einem blauen Kittel, ergreift Glafira Semjonowna plötzlich
an der Hand und zieht sie zu seinem Eselchen.
- „Ai-ai! Nikolai Iwanitsch! Was macht er denn?“ schreit sie auf und reißt sich
vom Kittelträger los, der sie mit gefletschten Zähnen fröhlich angrinst.
Nikolai Iwanowitsch schwenkt den Regenschirm in seine Richtung: „Dir zeig
ich gleich, schwarze Fresse, wie man Damen an die Hand fässt!“ erregt
er sich. „Wo ist denn die Wache? Monsieur Gendarme! Ici... venez ici...“
winkt er einem an der Ecke stehenden Polizisten und beschwert sich, als
dieser hinzutritt: „Hier dieser Halunke... wie heißt мерзавец auf Franzö-
sisch, Glascha?“
- „Ach, nun lass doch... wozu einen Skandal anfangen... lass gut sein...“
- „Warum das denn... die muss man erziehen - soll die Polizei ihn
doch in Ketten legen!“
- „Die haben hier doch keine Wache“.
- „Egal, irgendeine Art Kittchen wirds schon geben. Вот зтот голубой
мерзавец, Monsieur городовой, схватил ma femme за main и даже
за грудь. Glascha! Übersetz ihm!“
- „Ist nicht nötig, komm, wir gehen... sollen wir uns zur Freude des Publikums
hier versammeln - guck, die Leute bleiben schon stehen...“
- „Sollen sie doch. Ich kann das nicht zugeben: Cet мерзавец bleu... ach,
wie ärgerlich, dass ich kein einziges Schimpfwort auf Französisch weiß!“
ruft Nikolai Iwanowitsch aus und versucht trotzdem, sich dem Gendarmen
verständlich zu machen: „Cet cochon bleu хвате ma femme за main и за
это место... voilà...“ er zeigt auf die Brust, „prenez его в police, prenez...
c’est безобразие ведь...“
- „Nikolai Iwanitsch, ich gehe jetzt, es reicht!“
Jetzt greift der Gendarm ein: „Qu’est-ce qu’il a fait, Madame?“
- „Rien“ antwortet diese, dreht sich um und geht in die Allee.
Nikolai Iwanowitsch bleibt nichts anderes übrig, als ihr hinterherzueilen.
- „Ich muss mich schon wundern“ brummt er, „spricht französisch und
will sich nicht beschweren, das heißt doch, dass es dir gar nicht so
unangenehm war, dass du nur zum Schein geschrieen hast...“
- „Ja sicher, hat mir Spaß gemacht... ich wollte keinen Skandal und nicht
die Aufmerksamkeit der Leute auf uns ziehen... ist erledigt, und gut“.
Ganz allmählich kann sich auch Nikolai Iwanowitsch beruhigen, hält aber,
inmitten all der Araber, seinen Regenschirm parat. Statt der Lehmhäuser
sehen sie jetzt zweistöckige Häuser mit Flachdächern, auch mit einer Art
Türmchen - sie befinden sich in der Kairoer Straße, die für die Ausstellung
aufgebaut wurde. Sie treffen noch auf mehrere Eselsführer, halten sich aber
fern von ihnen.
In einiger Entfernung sehen sie einen Engländer, erkennbar
an seinem großkarierten Mantel, auf einem Esel reiten.
Er hat noch mehrere Pelerinen übergeworfen und trägt eine weiße Mütze
mit Sonnenschutz vorne und hinten, ein Kittelträger führt den Esel an
den Zügeln. Hinter ihm reitet, ebenfalls auf einem Esel, eine Engländerin
in blauem Kleid und mit einem Hütchen, vor dem ein grüner
Gazeschleier weht.
- „Ach, die Kittelträger sind so eine Art Kutscher, vermieten die Esel zum
Reiten...“ konstatiert Glafira Semjonowna, „na, was willst du von
Kutschern auch schon erwarten, das machen die doch bei uns auch,
dass sie die Leute an den Händen ziehen...“
- „Ach, verdammt, Kutscher sind das... und ich dachte, irgendwelche
arabischen Reiter, so wie unsere Husaren oder Ulanen... schau nur,
Glascha, wie viele Leute auf den Eseln reiten, sogar Damen... da hinten,
die Alte, dick wie eine Tonne... und Kamele gibts auch, schau, da liegt
eines, da kann man bestimmt auch drauf reiten“.
- „Ach was! Erst die Kittelträger beschimpfen, jetzt will er schon reiten...“
- „Na, hab ich doch nur so erwähnt... aber wenn du möchtest, können wir
zusammen reiten...“
- „Tolle Idee!“
- „Warum denn? Alle reiten. Sind auf der Ausstellung, da sollten wir auch
alles ausprobieren... mit einem Menschen sind wir schon, jetzt eben auf
einem Esel...“
- „Ist doch Unsinn!“
- „Aber nicht doch... ich sage ja gar nicht, das wir auf einem Kamel... aber
so ein Esel, der ist doch nicht so groß...“
Linkerhand sehen unsere Eheleute jetzt ein Café-Restaurant, auf der Dach-
terrasse sitzen Gäste und die Kellner laufen in arabischer Tracht umher.
- „Na, wollen wir einen Kaffee trinken?“ fragt Nikolai Iwanowitsch.
- „Wahrscheinlich wieder mit Cognac? Alles klar“.
- „Aber Glascha! In einem arabischen Cafe! Da gibts doch keinen Cognac,
das sind doch Muslims, Alkohol ist ihnen verboten“.
- „Unseren Tataren auch, und in den tatarischen Restaurants in Piter kannst
du sehen, wie sie sich daran halten... da finden sich doch die schlimmsten
Säufer!“
- „Nur Kaffee, Glascha, der arabische Mokka soll der beste sein... Musik
spielen sie auch...“
- „Nur Kaffee?“
- „Nur Kaffee, ja. Höchstens noch Rotwein mit Wasser... in einem musli-
mischen Restaurant muss man sich muslimisch verhalten...“
Unsere Eheleute begeben sich zum Restaurant.
Im Cafe-Restaurant erfolgt gerade eine musikalische Darbietung. Am Ende
des Raumes, auf einer kleinen Estrade, deren Kulissen Dattelpalmen in der
Wüste darstellen, sitzen ein Flötist und ein Trommler, zu denen sich bald
eine Tänzerin gesellt. Sie ist ganz in weite, weiße Gewänder gehüllt, sogar
Kinn und Mund sind verdeckt, man sieht von ihr nur den oberen Teil des
Gesichtes mit schwarzen Augen und Brauen sowie die nackten Fußsohlen.
Ihr Tanz besteht in kleinen Fußbewegungen auf der Stelle und Drehungen
des Körpers in verschiedene Richtungen, auch streckt sie den Bauch vor,
legt den Kopf zurück und rollt mit den Augen, so dass teilweise nur deren
Weißes sichtbar ist.
- „Ach herrje, wie die posiert...“ bemerkt Nikolai Iwanowitsch, der sich mit
seiner Frau an ein Tischchen gegenüber der Estrade gesetzt hat.
Ein bärtiger Araber tritt heran, mit weißem Turban, Hemd und Pluderhosen,
die bis zu den Knien gehen, in der Hand ein Tablett mit zwei Gläsern Wasser
und zwei Untertässchen mit Warenje.
- „Zur Begrüßung“, erklärt Nikolai Iwanowitsch seiner Frau, und zum Araber:
„Nein, Bruder, merci, Süßes brauchen wir nicht“.
- „Warum das denn nicht? Du wolltest doch etwas trinken, da trink doch,
Wasser mit Warenje ist doch ausgezeichnet...“ fällt ihm Glafira ins Wort,
„donnez, donnez...“ und nimmt die Sachen vom Tablett.
- „Also weiß du, Glascha, auf der Weltausstellung kaltes Wasser mit Warenje
schlürfen.... ach herrje, dafür lohnte sich bei Gott die Reise nicht...“
schüttelt Nikolai Iwanowitsch nur den Kopf.
- „Was willst du denn eigentlich - hast doch selbst gesagt, dass du keinen
Alkohol trinkst...“
- „Naja, eben irgendwas arabisches oder so“.
- „Dein arabisches kenne ich... Cognac wahrscheinlich...“
- „Warum denn Cognac... die haben doch bestimmt so einen arabischen
Wein... Половой! Есть у вас vin arab?“
Der Kellner schaut ihn erstaunt an und versteht offensichtlich nicht,
was er gefragt wurde.
- „Ech, versteht nichts, Glascha, erklär du ihm doch...“
- „Warum das denn - du wolltest dich doch muslimisch verhalten hier -
nun trink“.
Nikolai Iwanowitsch leckt am Löffelchen und zwingt sich zu einem Schluck
Wasser. Der Araber verschwindet kurz, bringt aber sofort zwei neue Teller
mit gezuckerten Früchten und verbeugt sich wieder.
- „Das sind doch alles nur Süßigkeiten!“ ruft Nikolai Iwanowitsch aus,
„Дай жоть кофе, Monsieur половой, что ли... кофе! Понимаешь?“
- „Oui, oui, café après...“ nickt der Kellner.
Glafira Semjonowna nimmt auch von den Früchten.
- „Hättest mal fragen sollen, was das kostet, muss hinterher alles bezahlt
werden...“ bemerkt ihr Mann, und, zum Kellner gewandt: „Combien?“
- „Un franc“, und er hebt noch einen Finger zur Verdeutlichung, um erneut
zu verschwinden und unserem Ehepaar mit einer Verbeugung
frische Birnen anzubieten.
- „Wozu - die haben wir nicht bestellt...“ wehrt Nikolai Iwanowitsch ab,
bring uns Kaffee... Café noir... Неси вон, неси обратно и принеси
кофе...“
- „Tout... tout... pour tout un franc“, versucht der Araber zu erklären und
zeigt auf alles.
- „Für alles zusammen ein Franc. Nun iss!“ befiehlt Glafira ihrem Mann.
- „Ich werde doch nicht diesen ganzen süßen Dreck essen! Das ist was
für Frauen!“ weigert sich Nikolai Iwanowitsch und wendet sich ab.
Der Araber kommt zum vierten Mal mit seinem Tablett, auf dem sich
jetzt zwei Tässchen mit schwarzem Kaffee befinden.
- „Na endlich...“ Nikolai Iwanowitsch zieht sofort ein Tässchen zu sich und
probiert mit dem Löffel: „Aber er hat uns ja nur den Satz gebracht...
das ist ja witzig, guck mal, der ganze Satz schwimmt im Kaffee...“
- „Tja, wahrscheinlich nach arabischer Art... trink!“
- „Das Zeug kann man doch nicht trinken... so eine Brühe... und das im
arabischen Restaurant...половой! Garçon! Или араб! Как тебя?
Поди сюда! Venez ici!“
Der Kellner kommt, aber mit einer gläsernen Wasserpfeife, verbeugt sich,
baut sich vor Nikolai Iwanowitsch auf und drückt ihm das dünne Rohr in die
Hand.
- „Geh zum Teufel... die Pfeife bringt er... schleppt eine türkische Wasser-
pfeife an und nötigt einen, zu rauchen...“ Nikolai Iwanowitsch muss
lächeln und nimmt das Mundstück.
- „Nun rauch doch, Papirossi qualmst du doch auch...“ ermuntert ihn
Glafira.
Nikolai Iwanowitsch nimmt einen Zug, stößt den Qualm wieder aus und
bemerkt: „Jetzt sehe ich genauso aus wie der Türke, dessen Bild bei uns
in Peterburg im Tabakladen hängt, fehlt nur der Schneidersitz“.
- Drüben auf dem Diwan sitzt so einer im Fes und raucht, sieht genauso aus
wie du, der gleiche Anzug, nur einen roten Fes, setz dich doch zu ihm...“
- „Sonst noch was?... Aраб! Monsieur араб! Коньяк есть?
Vous avez Cognac?“ fragt er schnell.
- „Pass auf! Das lasse ich nicht zu!“ erhebt Glafira die Stimme.
- „Ein Gläschen nur, Glascha, ein kleines Gläschen.. Cognac vous avez“
- „Cognac? Oui, oui..“ nickt der Kellner.
- „Taк apporte un verre... Nur ein Glas, Glascha, das kipp ich ins Wasser,
Durst habe ich, aber pures Wasser kriege ich nicht runter...“
- „So ein Schwein, hält seine Versprechen nicht...“
Der Kellner bringt eine kleine Karaffe und ein Schnapsglas. Nikolai Iwano-
witsch misst den Cognac allerdings nicht mit dem Glas ab, sondern kippt ihn
direkt aus der Karaffe ins Wasserglas, guckt auf seine Frau, lächelt und
murmelt: „Huch, das war verkehrt, hast mich ganz durcheinandergebracht...“
Das Glas trinkt er auf einen Zug aus und rechnet mit dem Kellner ab, drei
Francs müssen sie bezahlen. Als sie das Cafe verlassen, beginnt es im
Kopfe Nikolai Iwanowitschs angenehm zu rauschen, seine Stimmung hellt
sich beträchtlich auf, während Glafira Semjonowna finster dreinschaut und
schweigt.
Es wird Abend. Die Dämmerung breitet sich über Paris aus, als unsere
Eheleute eine Reihe asiatischer Bauten abschreiten, die ebenfalls eine
Straße bilden. Es ist Zeit, an das Mittagessen zu denken.
- „Hunger hab ich. Und du, Glascha?“
- „Und ob, ich brauche dringend was zu essen. Den ganzen Tag auf den
Beinen, den ganzen Tag treiben wir uns schon auf der Ausstellung
herum - wie sollte ich da keinen Hunger haben? Aber wir sollten nicht
hier essen, sondern irgendwo in der Stadt, da gibts doch wohl genug
Restaurants“.
- „Na gut. Aber zur Abrundung nehmen wir uns zum Reiten jetzt die
Esel und befehlen ihnen, uns direkt zum Ausgang zu führen“.
- „Auf keinen Fall, also wirklich, was du dir immer ausdenkst!“
- „Warum denn nicht? Esel gehen ganz ruhig, sind doch keine Pferde, und
außerdem werden sie von ihren Führern am Zügel gehalten - nee, das ist
wirklich nicht gefährlich“.
- „Ich will nicht, ich fürchte mich“.
- „Herzchen, da ist doch nichts zum Fürchten. Hast du den Engländer vorhin
nicht gesehen - auf die gemächlichste Art ist er geritten. Und was für ein
Engländer: bestimmt 130 Kilo und so einen Bauch... wenn wir dann zum
Ausgang geritten sind, können wir eine Equipage nehmen und uns vom
Kutscher ins beste Restaurant bringen lassen... ist doch in Ordnung, oder?
Und abends dann ins Theater“.
- „Nikolai Iwanitsch, ehrlich, ich bin noch nie geritten...“
- „Aber das ist doch ein Eselchen, kein Pferd“, versucht Nikolai
Iwanowitsch seine Frau zu überreden, „auf denen reiten doch schon
kleine Mädchen, guck doch, wie brav die Kleine da sitzt“, zeigt er auf
ein hübsch angezogenes, etwa zwölfjähriges Mädchen in kurzem Kleid
und schwarzen Strümpfen im Sattel. "Morgen brauchen wir dann ja nicht
zur Ausstellung, da schauen wir mal in die Geschäfte und kleiden dich
mit pariser Mode ein. Wie hieß der gute Laden noch, den sie dir
empfohlen haben?“
- „Les Magasins du Louvre“.
- „Genau, da gehen wir hin... und jetzt steigen wir auf die Esel, bitteschön,
und reiten. Weißt du, weswegen ich dich darum bitte? Ich hab mir für
Ckalkin nämlich schon ein Geschichtchen ausgedacht. Heute abend
könnte ich ihm dann einen Brief schreiben, dass wir auf Eseln geritten sind,
mit einem wilden, arabischen Führer, der arabische Lieder sang, dass ein
Esel böse geworden ist, die Kandare zerbissen hat und mit dir durchge-
gangen ist, genau in Richtung des reißenden Flusses - einen Moment
noch, und du wärst mit dem Esel in den schäumenden Fluten unterge-
gangen, aber da bin ich herangeprescht und habe, am Rande des
Abhangs, den wildgewordenen Esel gebändigt...“
- „Wie denn, am Schwanz festgehalten?“ unterbricht ihn Glafira.
- „Nicht doch am Schwanz, an den Zügeln... unter Gefahr für mein eigenes
Leben habe ich die Zügel ergriffen...“
- „Ach, Nikolai Iwanitsch, wie liebst du das Lügen! Was ist das bloß für eine
Angewohnheit bei dir!“
- „Herzchen, ich lüge nicht, ich schmücke nur ein wenig aus“.
- „Na meinetwegen, dann reiten wir. Aber Spaß macht mir das nicht“.
- „Ach was. Ey, Eselführer! Kittelträger!“ ruft Nikolai Iwanowitsch einem
an einer Mauer wartenden Eseltreiber zu, der aber kein Wort versteht und
sich nicht rührt.
- „Warte nochmal“, bittet Glafira, „eigentlich habe ich weniger Angst vor dem
Reiten, als vor diesem schwarzgesichtigen Eselsführer - wenn er mich
nun wieder anfasst, wie vorhin? Die sind ja dermaßen frech...“
- „Na, wofür, meinst du, hab ich den Regenschirm? Den zieh ich ihm über...
außerdem sind hier Wachen... und Publikum...Ey, Eseltreiber! Esel!“ ruft
Nikolai Iwanowitsch erneut, „wie heißt Esel auf Französisch?“
- „L’âne“.
- „Ach - bei uns ist das ein ganz anderes Tier... Ей, лань! Ланщик...
подавай!“
Der Eselführer, als er bemerkt, dass ihm gewunken wird, trabt sogleich
mit seinem Esel an und entblößt seine Zähne.
- „Zum Ausgang, zu dem Tor, wo la porte. Und noch was - wink doch
einen zweiten Esel herbei... un l’âne pour ma femme и un l’âne pour moi -
Glascha! Nun übersetz doch!“
- „Deux l’ânes, il faut nous deux l’ânes...!“ übersetzt diese und hebt zwei
Finger.
Der Treiber steckt sich zwei Finger in den Mund, pfeift durchdringend und
winkt. Von irgendwoher erscheint ein zweiter Treiber und führt sein Tier an
den Zügeln zu unseren Eheleuten.
- „Steig auf, Glascha... warte, ich helfe dir....so, stütz dich mit dem
Ellenbogen an mir ab und krabbel hinauf...“
Nikolai Iwanowitsch beugt sich hinunter und Glafira, eine Hand am Sattel,
die andere auf dem Rücken ihres Mannes, setzt einen Fuß in den Steigbügel,
schreit aber plötzlich auf: „Ai, ai...der Treiber... fasst mich an den Fuß...“
- „Was soll das, Kanaille, Protobestie, so ein Schweineohr!“ schimpft Nikolai
Iwanowitsch und fuchtelt mit seinem Schirm herum, „An den Fuß fassen...
ans pied tatschen... wenn du nochmal mit deiner arabischen Fresse...“
Der Eseltreiber geht in die Hocke, fletscht die Zähne und murmelt etwas vor
sich hin, zeigt dann aber auf seine Handfläche und artikuliert in gebrochenem
Französisch: „Mettez pied, Madame, mettez pied...“
- „Ach so, er möchte, dass ich meinen Fuß auf seine Hand stelle...“ ruft
Glafira aus, deswegen hat er mich angefasst... aber trotzdem, wie kann
er es wagen, von allein, ohne zu fragen....setz du mich hinauf, Nikolai
Iwanitsch!“
Aber bevor Nikolai Iwanowitsch seinen Schirm weglegen kann, hat der
Führer Glafira schon mit beiden Armen ergriffen und setzt sie,
wie ein Federchen, in den Sattel.
- „Halt, halt, Schweinehund!“ kräht Nikolai Iwanowitsch, aber da sitzt
seine Frau bereits. Der Eseltreiber stößt einen kehligen Laut aus
und zieht mit dem Esel los.
- „Warte, warte... wir reiten zusammen...“ ruft Nikolai Iwanowitsch hinterher,
beeilt sich, selber aufzusteigen, was ihm schließlich mit Hilfe des zweiten
Treibers auch gelingt, dem er zuruft: „Nun Pfeffer auf den Schwanz und
los... wir müssen meine Frau einholen...“