Mit der Auswahl ihrer Sachen verbringt Glafira Semjonowna beinahe den
ganzen Tag. Erst nach 15 Uhr beendet sie die Anprobe und kann sich zu
einer Entscheidung durchringen. Gewählt werden eine luxuriöse Korsage,
ein Kaschmir-Umhang, zwei Kleider und ein Hut. Die der Körperfülle
Glafira Semjonownas wegen nötigen umfangreichen Änderungen können
nicht beendet werden und die Verkäuferin entscheidet, sie zu verschieben
und Glafira am übernächsten Tag alles zusammen ins Hotel zu schicken.
Nikolai Iwanowitsch bezahlt und erzählt sogleich vom geplanten
Mittagessen: „So, jetzt gehts gleich zum Essen, furchtbaren Hunger habe
ich... vielleicht gelingt es uns, wenigstens einmal anständig zu speisen,
auf russische Art, wenn es auch schon spät ist und eher ein Abendessen
werden dürfte. Unser Landsmann hier empfiehlt einen Imbiss...“
- „Einen Imbiss?! Hast du den Verstand verloren?“ empört sich Glafira.
- „Keine Angst, Sudarinja“, versucht sie Peredrjagin zu beruhigen, „das
heißt hier nur so....sicher haben Sie in Petersburg mit Ihrem Mann schon
einmal bei Miljutins Imbiss gespeist, das ist hier genauso: Sie suchen sich
die frischen Lebensmittel aus, und vor Ihren Augen werden sie zubereitet“.
Das Magasin verlassend, besteigen unser Ehepaar und ihr Landsmann
sogleich einen Omnibus Richtung Port-Saint-Denis, und nach nur einer
Viertelstunde betreten sie die Imbissbude des Rôtisseurs.
Diese besteht aus einem großen Saal mit einer Unzahl kleiner Marmortische,
an dessen hinterem Ende sich zwei riesige Herde befinden, die allerdings
eher an Kamine erinnern. Auf diesen Feuerstellen werden an mechanischen
Bratspießen Fleischstücke, Poularden und Wild gebraten. Durch das auf den
Kohlen verbrannte Fett ist der ganze Raum verqualmt, an den Herden steht
der Rauch wie Nebel, in dem die weißen Schürzen und Mützen der Köche
sichtbar sind. Etwas zischt, Funken sprühen, der Ventilator kreischt, man
klappert mit dem Geschirr.
In einem Glasschrank sind die Lebensmittel ausgestellt, hier liegen fette,
gerupfte Truthühner, Poularden und Gänse, verstörend in ihrer Blassheit ,
geschmückt mit weißer, aus Papier geschnittener Spitze. Hier liegen auch Fleischstücke in einer Art Papilloten, Kalbsfüße und Lammkeulen, ebenfalls mit Papierverzierungen und Blümchen aus Rüben,
Möhren, Rettich und Roter Beete.
Als unsere Eheleute eintreten, sitzen bereits, ungeachtet der für Paris
frühen Zeit für ein Abendessen, etwa 30 Menschen an den Marmortischen
und essen und trinken. Die Bedienungen tragen braune Kleider mit
weißen Hauben und Schürzen.
- „So, das also ist der Imbiss, von dem ich erzählt hatte“, sagt der Lands-
mann.
- „Vor lauter Qualm bekommt man ja keine Luft hier“, rümpft Glafira Semjo-
nowna die Nase.
- „Da haben Sie recht - aber diesen Rauch halten sie hier für besonders
schick“.
- „Der ist nur angenehm, wenn man Hunger hat“, bemerkt Nikolai Iwano-
witsch, „jetzt bin ich so ausgehungert, dass ich eine komplette Gans
essen könnte“.
- „Werden wir auch. Hierher kommen bekanntermaßen nur, entschuldigen
Sie den Ausdruck, Vielfraße“, prahlt der Landsmann.
Sie begeben sich zu den ausgestellten Lebensmitteln und betrachten die
auf Marmorregalen liegenden Fleischstücke und die Umrisse des unter
Kohlblättern versteckten Geflügels. Der Blick Nikolai Iwanowitschs bleibt
an einer gigantischen Gans aus Toulouse hängen.
- „Ech, was für eine Gans, das ist ja schon ein Krokodil - wollen wir uns die
nicht braten lassen?“
- „Eigentlich hatte ich mich schon für die Pute hier entschieden“, wendet der
Landsmann ein, „die erinnert an ein Flusspferd...“
- „Man weiß ja schon nicht mehr, wo man hingucken soll - der Truthahn
reizt den Appetit, die Gans die Fantasie...“ leckt sich Nikolai Iwanowitsch
die Lippen, „Glafira Semjonowna - und wenn wir beide bestellen?“
- „Na hör mal, Nikolai Iwanitsch, das schaffen wir doch nicht zu dritt!“
- „Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber seit ich mich im Ausland aufhalte, bin
ich dermaßen ausgehungert, dass ich einen ganzen Eber vertilgen könnte.
Bisher waren die Portionen so klein wie eine Kupfermünze... und wenn wir
wirklich nicht alles schaffen sollten, ist doch auch egal...“
- „Wenn Sie nur die Hälfte schaffen, gibt man Ihnen hier den Rest in Papier
gewickelt für zu Hause mit“, erklärt Peredrjagin.
- „Na wunderbar“, freut sich Nikolai Iwanowitsch, „Glascha, da haben wir
gleich was für heute Nacht...“ und wendet sich zum vor ihm stehenden
Koch, den ein hübsches Bärtchen schmückt: „Le гус и cette индейка pour
nous и чтобы très bien было...“
Der Backenbärtige greift sofort ein und erklärt es noch einmal auf Französisch.
- „Pour trois personnes seulement, Monsieur?“ fragt der Koch, verwundert
die Augen aufreißend.
- „Так что-ж, что pour trois? Was wir nicht aufessen, nehmen wir mit...“
antwortet Nikolai Iwanowitsch, „aber, Bruder, ich denke, das wird nicht
viel sein... und warte mal...“ hält er den Koch zurück, der sich die beiden
Vögelchen schon gegriffen hat und sie zum Herd bringen will, „encore la
viande... мясо надо, нельзя без мяса...“
- „Es reicht, Nikolai Iwanitsch, wo sollen wir denn abbleiben mit diesen
Mengen...“ guckt ihn Glafira energisch an.
- „Matuschka, ganz ausgehungert bin ich in Paris... Was halten Sie davon,
Landsmann, sollen wir noch etwas Kalbsbrust bestellen?“
- „Brüstchen, Gans und Truthahn - das schaffen wir nicht!“
- „Was Sie betrifft - keine Ahnung, aber ich schaffe das, endlich bekomme
ich mal was Richtiges zu essen...“
- „Nein, lassen Sie gut sein. Wir sollten aber fragen, was sie für Suppen
anbieten“.
- „Gibt es keine saure Kohlsuppe?“
- „Nein nein, die kriegen Sie hier in Paris für kein Geld dieser Welt. Quelle
soupe est-ce que vous avez aujourd’hui?“ fragt Peredrjagin und übersetzt
die Antwort: „Nur Bouillon und pürierte Erbsensuppe. Sie können natürlich
machen, was Sie wollen, aber zu der Pute und der Gans wäre für mich
alles außer Bouillon zu viel“.
- „Soupe purée, purée, Monsieur, он - bouillon, a je purée..“ nickt Nikolai
Iwanowitsch dem Koch zu, „sättigt doch letztlich mehr... also: le индейка,
le гус и soupe purée и bouillon... ach, warte, warte, салат encore, beau-
coup салат...“
Im Vorgeschmack auf ein himmlisches und sättigendes Mahl lächelt Nikolai
Iwanowitsch zufrieden und reibt sich die Hände.
- „Und der Weinkellner bringt uns dann Roten, ja, Landsmann?“
- „Soviel Sie wollen. Und statt Wodka trinken wir Cognac“.
Sowie sie sich alle gesetzt haben, erscheint auch eine hübsche Bedienung,
lärmt mit den Tellern und deckt den Tisch.
- „Und die Tischdecke, bekommen wir keine Tischdecke?“ fragt Nikolai
Iwanowitsch.
- „Das halten sie hier für überflüssig“, sagt Peredrjagin, „der saubere, weiße
Marmortisch ist ausreichend, einfach und reinlich soll es sein... gucken
Sie sich mal das Service an, die Teller sind so dick, mit denen können
Sie Nägel in die Wand schlagen...“
- „Cognac, Madame, Cognac... apportez...“ wünscht sich Nikolai Iwano-
witsch von der Bedienung.
- „Cognac? A présent?“ fragt diese überrascht, „Mais vous n’avez pas
encore mangé...“
- „Да, да... das ist nach russischer Art...“ erklärt ihr der Landsmann auf
Französisch, „in Russland trinkt man starke Weine immer vor dem Essen,
nicht hinterher, das ist für den Appetit. Bringen sie uns doch bitte einen
kleinen Flakon Cognac und eine Portion Käse“.
Der Cognac wird gebracht, die Herren beginnen zu trinken. Die junge Dame
beschaut sich das erstaunt aus der Ferne, zuckt mit den Schultern und
wechselt Blicke mit den anderen Bedienungen. Die Suppe wird gebracht,
die Herren trinken weiterhin Cognac. Dies sehend, muss die Kellnerin beinahe
kichern, sie dreht sich schnell um, ihr Lachen zu unterdrücken, was Glafira
Semjonowna nicht entgeht.
- „Was belustigt sie denn so?“ fragt sie Peredrjagin.
- „Ach, das kennen sie hier nicht, Cognac zum Essen, der wird nur hinterher
getrunken, und diesen erlauchten Fräuleins erscheint das unzivilisiert“.
- „Dumme Gänse...“
Aber jetzt erscheint das Federvieh, noch auf dem Spieß steckend,
im eigenen Fett brutzelnd und appetitlich riechend.
Es wird von zwei Frauen auf zwei Schüsseln herbeigetragen,
hinter ihnen bringt der Koch, mit einer ganzen Reihe von Messern
im Gürtel, eine übervolle Salatschüssel. Sie können ihre Belustigung
nicht verbergen, und der Koch kann sich nicht zurückhalten und
bemerkt: „Voyons, Messieurs... il faut avoir grand appétit pour manger tout
ça...“, zieht ein Messer aus dem Gürtel und beginnt, nachdem er vorher
gefragt hat, das Geflügel auf eine artistische Art und Weise zu zerteilen.
Nikolai Iwanowitsch stürzt sich auf die Gans, Glafira und ihr Landsmann
türmen sich den Truthahn auf die Teller.
- „Welch ein Braten!“ kommentiert Peredrjagin feierlich.
- „Wundervoll“, bestätigt Nikolai Iwanowitsch, sich den Mund wischend.
Der Koch und die Kellnerinnen beobachten das Ganze neugierig aus
der Entfernung, kichern und flüstern miteinander. Jetzt stehen schon fünf
oder sechs Bedienungen herum, und der andere Koch hat sich ebenfalls
zu ihnen gesellt. Offensichtlich diskutieren sie und scheinen sogar zu wetten,
ob die Besucher alles ohne Rest aufessen oder noch mit dem
Leben davonkommen.
Aber die Vögel sind einfach zu riesig, Glafira Semjonowna schiebt als erste
den Teller von sich, bald darauf ist auch Peredrjagin erlöst. Nur Nikolai
Iwanowitsch isst noch weiter und legt sich ohne Unterbrechung abwechselnd
ein Stück Pute und dann wieder ein Stück Gans auf den Teller, bis endlich auch
er sich den Mund mit der Serviette abwischt: „Assez... und jetzt Rotwein, jetzt
beschäftigen wir uns mit dem Wein ... das war doch mal ein anständiges
Essen, so muss das sein... Merci, Landsmann, dass du uns gezeigt hast,
wo man sich richtig sattessen kann“, und er nimmt dessen Hand und
schüttelt sie.
Bei den Kellnerinnen und Köchen merkt man Bewegung.
- „Je disais que c’est difficile“, sagt der schnurrbärtige Koch und erhält von
seinem Kollegen eine Silbermünze.
Peredrjagin winkt ihre Kellnerin herbei und trägt ihr auf, die Reste einzupacken.
Als sie das Paket bringt, bemerkt sie auf Französisch: „Ihnen ist es
nicht gelungen, zu dritt auch nur die Hälfte von zwei Tieren zu essen,
aber vor zwei Monaten hatten wir einen Engländer zu Gast, der hat
eine komplette Gans allein verspeist“.
Peredrjagin übersetzt, aber Nikolai Iwanowitsch winkt sofort ab: „Das hat
nichts zu sagen, das schaffe ich auch, wenn ich mich nachher ein, zwei
Stunden hinlegen kann, aber wir wollen heute noch ins Theater“ und gießt
ihnen beiden Rotwein ein, „also, auf das Seelenheil der Gans, ruhe sie
sanft. Stoß an, Landsmann!“
- „Verzeihen Sie, aber wir sollten auch der Pute gedenken, auch ihres See-
lenheils... die Verstorbene war von großer Würde...“
- „Natürlich, wir danken ihnen beiden, dank ihrer Liebenswürdigkeit bin ich
im Ausland das erste Mal satt geworden...“ und beide nehmen einen
großen Schluck aus ihrem Glas.
Es dämmert schon, als unsere Gesellschaft ihr sättigendes, wenngleich wenig abwechslungsreiches Abendmahl beendigt. Nikolai Iwanowitsch und sein
Landsmann haben ordentlich gebechert und sind ganz schön in Fahrt, wobei
Nikolai Iwanowitsch noch weiter trinken will, aber von Peredrjagin zurück-
gehalten wird.
- „Lass gut sein, wir sollten jetzt in den Zirkus zur Indianervorstellung, sonst
kommen wir zu spät. Der Zirkus ist außerhalb der Stadt, das ist ein ganzes
Stück entfernt, ich schlage vor, wir fahren mit der Eisenbahnlinie
‘Ceinture“, aber wir müssen noch zum Bahnhof laufen. Wir können im
Zirkus ja noch einen Schluck trinken“.
Sie packen ihre Bratenreste ein, verlassen den Imbiss und begeben sich zum
Bahnhof.
- „Die Indianer, die auftreten - das sind doch Wilde, oder?“ erkundigt sich
Glafira auf dem Weg.
- „Wilde, natürlich...“, bestätigt ihr Landsmann, „250 Pferde, 200 Reiter,
Büffel, Hunde und eine Menge Frauen und Kinder - und alles schießt und
kämpft... man sagt, dass die Indianerinnen äußerst attraktiv sein sollen...“
setzt er hinzu, stößt Nikolai Iwanowitsch dabei an und zwinkert ihm zu,
besinnt sich aber, dass Glafira Semjonowna sich neben ihnen befindet, als
er nun seinerseits angetippt wird: „Psst, der Samowar ist da“.
- „Welcher Samowar?“ fragt Glafira ihren Mann.
- „Ach..äh...gar keiner... habe so vor mich hin gedacht...“
- „Es scheint, der Cognac wirkt schon bei dir... wo hast du denn einen
Samowar gesehen?“
- „Also, na so, schon vorbei... pass auf, dass du nicht zurückbleibst...“
- „Oh Gott, wie ich es hasse, mit dir unterwegs zu sein, wenn du
betrunken bist...“
- „Wo bin ich denn betrunken? Wo denn? Wir haben doch nichts getrunken,
fast gar nichts!“
Im Gespräch erfolgt eine Pause.
- „Also ich bitte dich, Nikolai Iwanitsch, dass du jedenfalls die Wilden in
Ruhe lässt“, beginnt Glafira erneut, „ich kenne dich doch: du setzt dir
wieder was in den Kopf und willst noch mit denen einen trinken. Was
ist das überhaupt für eine Mode mit den Wilden hier in Paris? Sieht aus
wie eine aufgeklärte und zivilisierte Stadt - und wohin du guckst: überall
Wilde“.
- „Zur Weltausstellung, Sudarinja“, erklärt Peredrjagin, „kommen die Leute
aus der ganzen Welt. Die Europäer haben sie eingeladen, und sie sind
ja auch eine Novität... und, hier, in Paris, tatsächlich groß in Mode
gekommen... Aber zu befürchten haben Sie nichts, hier gibts eine
Reitvorstellung und weiter nichts“.
Unter dieser Art Gespräch gelangen sie zum Bahnhof, und müssen, da der
Zug der Chemin de fer de Ceinture alle Viertelstunde fährt, nicht lange
warten. Sie finden in einem der winzigen Waggons Platz, der Zug fährt
leise los und hält alle fünf Minuten an kleinen Bahnhöfen. Die Fahrt stimmt
die irgendwie schlechtgelaunte Glafira wieder fröhlicher. Mit einem Lächeln
bemerkt sie: „Der Zug ist ganz wie eine Spielzeugeisenbahn“.
- „Die Linie führt um ganz Paris herum, umfasst die Stadt wie ein Gürtel,
deswegen der Name, kein Viertel wird ausgelassen... Aber an der
nächsten Station müssen wir aussteigen, machen Sie sich bereit...“ sagt
Peredrjagin.
- „Was denn bereit machen? Essen haben wir bei uns“, ruft Nikolai Iwa-
nowitsch, das Paket vom Rotisseur vorzeigend, „Getränke finden wir dort.
Und ob du dich ärgerst oder nicht, Glascha, mit der Gans werde ich
irgendeine wilde Indianer-Alte füttern, will doch mal sehen, wie die
essen“.
Glafira winkt nur ab und dreht sich weg.
Auf dem Bahnhof sind überall riesige Plakate geklebt, die vom kriegerischen
Theater und dem Kampf der Truppe der Rothäute mit der der weißen Siedler
künden. An allen vier Ecken sind die Plakate von bunten, abgeschlagenen
Köpfen, die auf Piken stecken, geziert und Arbeiterjungen laufen herum,
verkaufen die Programme, winken mit ihnen und schreien: „Sondervorstellung!
Beeilen Sie sich, meine Herren, schauen Sie sich das an! Die Indianer
halten sich nur sieben Tage in Paris auf! Ein glänzendes Spektakel - eine
beeindruckende Aufführung!“
Die Station, an der sie aussteigen, liegt an einem Hügel, den sie
auf steinernen Stufen, ihr Landsmann als Führer voran, erklimmen, um nach
einer kleinen Straße endlich den Park zu errreichen, an dessen Tor sie einen
Franc Eintritt zahlen müssen. Der Park selber stellt mehr eine Wiese dar, es
gibt nur wenige Bäume oder Sträucher, aber zwischen ihnen erkennt man die
Tipis der Indianer, aus deren Spitzen Rauchwölkchen aufsteigen. Zwischen
ihnen spielen halbnackte Kinder mit bronzefarbenem Gesicht und langen,
bläulich-schwarzen, glatten Haaren. Magere Büffel grasen verstreut, an
einem Zelt ist ein abgemagerter Hund angebunden und vergessen worden.
Überall im Park stehen Gaslaternen, aus der Ferne klingen die Töne des
Orchesters herüber.
- „Wir müssen uns beeilen, sie haben schon angefangen“.
Als sie aber an einer Holzbude mit der Aufschrift ‘Restaurant’ vorbeikommen,
bemerkt Nikolai Iwanowitsch sofort: „Ah, hier wird ausgeschenkt, sehr gut...
Landsmann, Landsmann, vielleicht haben die irgendein fremdes, wildes
Getränk? Das sollten wir probieren... die Indianer verehren ja nicht
Mohammed, alkoholische Getränke sind ihnen erlaubt...“
- „Das können wir nachher machen, Nikolai Iwanowitsch, später, lassen Sie
uns doch erst einmal in den Zirkus gehen, auf unsere Plätze. Sehen Sie,
im Park ist schon niemand mehr, die Leute sind alle schon im Theater...“
Sie gelangen an einen hohen Holzzaun, vor dem sich die Kasse befindet.
Erneut wird Eintritt verlangt, diesmal zwei Francs. Hinter dem Zaun befindet
sich das Amphitheater, und die Gesellschaft erreicht ihre Plätze über eine
knarrende Holzleiter.
In derTat hatte die Vorstellung bereits begonnen. In der offenen Arena reiten
etwa zehn Männer auf lebhaften, aber unansehnlichen Pferdchen umher, in
Biberfellmützen und grauen Hüten, bunten Jacken und mit einem Gewehr
über den Schultern. Sie kreischen durchdringend, schwingen ihre Lassos und
jagen ein davonlaufendes Pferd, das sie auch nach drei Runden einholen.
Einer fängt es ein, indem er sein Lasso um den Hals des Tieres wirft, welches
sich aufbäumt, auf die Hinterbeine stellt und auf dem Boden wälzt, und erst
mit Hilfe eines zweiten und dritten Lassos, um die Hinterbeine geworfen,
gelingt es, das Pferd auf den Boden zu drücken.
- „Das sollen wahrscheinlich Räuber darstellen“ vermutet Glafira.
- „Das sind Jäger in den amerikanischen Steppen, sie fangen Wildpferde
und werfen sie nieder, um ihnen Zügel anzulegen“.
Hinter den Kulissen, die weit entfernte Hügel mit Blockhütten von Siedlern
zeigen, sind jetzt wilde Schreie zu vernehmen. Die Jäger, sich mit dem
gerade erst eingefangenen Pferdchen abrackernd, lassen es sogleich laufen,
springen auf ihre Pferde und jagen erneut durch die Arena. Die Schreie hinter
den Hügeln werden lauter, gehen in eine Art Geheul über und dann erscheinen,
auf ihren ungesattelten Tieren galoppierend, die Indianer, mit langen, wehen-
den Haaren und über die Schultern geworfenen, gestreiften Plaids, die
Verfolgung der Jäger beginnend.
- „Das sind Räuber, indianische Räuber, sie überfallen die Jäger, sehen
Sie...“ erklärt Peredrjagin.
Schüsse ertönen, Waffen klirren, Reiter stürzen von ihren Pferden, im Pulver-
dampf tummeln sich Indianer und Jäger. Als sich der Rauch verzieht, werden
die Jäger bereits mit gebundenen Händen, samt ihren Pferden, hinter die
Dekoration geführt. Ein Indianer hat einen Weißen wie ein Paket verschnürt
vor sich quer auf dem Pferd liegen, ein anderer zieht ein ähnliches Paket mit
dem Lasso auf der Erde hinter sich her.
- „Tschüss, meine Jägerchen! Die Indianer haben gewonnen und bringen
sie zum Braten in die Plains“, kommentiert Nikolai Iwanowitsch.
- „Die essen sie doch nicht, oder...“ erkundigt sich Glafira hastig.
- „Wieso denn nicht? Ist doch bekannt, dass das Menschenfresser sind -
aus einem Beinchen machen sie Beefsteaks, aus dem anderen Bœf-Stro-
ganow - und aus dem dritten irgendein Entrecôte...“ scherzt Nikolai Iwano-
witsch.
- „Aber die essen sie doch nicht wirklich...“
- „Nein, natürlich nicht, wir sind doch im Theater, wer wird ihnen denn hier
in Paris Kannibalismus gestatten...“ beruhigt sie Peredrjagin.
- „Gottseidank, ich hab schon befürchtet...“
Der erste Teil der Vorführung ist beendet, Kellner laufen mit Tabletts herum
und bieten Bier, Cognac-Flakons, Früchte und Sandwiches an. Auch ein
kleiner Indianerjunge ist da - in einer blauen, betressten Hose, eine gestreifte
Decke übergeworfen, bietet er dem Publikum auf Englisch rosafarbene
Körner an. Die einzig verständlichen Wörter sind ‘vingt centimes’, und
Peredrjagin kauft ihm eine Handvoll ab, probiert eines und spuckt sie
mit den Worten „Schmeckt nach nichts“ wieder aus.
Unser Ehepaar tut es ihm nach.
- „Aber die Vorstellung selbst finde ich überhaupt nicht interessant, Wilde,
wie langweilig...“, und Glafira gähnt hinter vorgehaltener Hand.
- „Es sind ungewöhnlich wilde Pferde, und die Indianer sind ausgezeichnete,
geschickte Reiter - das ist schon interessant“, wirft der Landsmann ein.
- „Ach woher..“ widerspricht ihm Nikolai Iwanowitsch, „diese Kunststückchen
können unsere Kosaken doch viel besser....“
Die Vorführungen der Indianer bleiben sich tatsächlich äußerst ähnlich. Im
ersten Akt überfallen sie die Jäger und nehmen sie gefangen, im zweiten Akt
widerfährt dieses Schicksal europäischen Siedlern in einem Planwagentreck.
Glafira Semjonowna gähnt, ebenso Nikolai Iwanowitsch, und ihr Landsmann
bleibt nicht hinter ihnen zurück.
- „Lasst uns doch lieber durch den Park schlendern, wir können ja bei den
Wilden vorbeischauen und uns ihre Häuschen angucken und wie sie
leben“ schlägt Nikolai Iwanowitsch vor, „was sollen wir hier weiter glotzen,
dies Herumgaloppieren ist doch nicht interessant, immer ein und dasselbe.
Außerdem ist da noch das Restaurant, na, steh auf, Glascha“.
- „Ja, ein Spaziergang im Park ist wahrscheinlich besser...“
Widerspruchslos erhebt sich auch ihr Landsmann, und sie verlassen das
Amphitheater und schlagen im Park den Weg zu den Indianerzelten ein.
In den Tipis herrscht Betriebsamkeit, offensichtlich bereiten die dort
zurückgebliebenen Frauen das Abendessen für ihre Männer, die zu dieser Zeit
noch durch die Arena wieseln.
Unsere drei heben den Filzvorhang an und marschieren einfach in ein Zelt.
Es ist verraucht, auf dem Boden brennt ein Feuer und in dem Kesselchen
darüber gart Weizenbrei, auf einer Matte daneben sitzen eine ältere und
eine junge Frau. Die erstere rührt mit einem Holzstäbchen im Kessel,
die zweite schneidet mit einem kurzen, gekrümmten Messer Fleisch
in Streifen, gerade auf der Erde, im niedergetretenen Gras.
Beide sind barfuß und tragen nur die gleichen kurzen und sehr engen Wollröcke
mit Streifenmuster sowie schmutzige, ärmellose Hemdchen. Die Alte hat
ihren Kopf mit bunten Tüchern umwickelt, die Junge trägt die Haare offen,
um ihren Hals hängen ganze Reihen farbiger Halsketten.
Beim Eintritt der Besucher wechseln die beiden einige Worte in ihrer Sprache,
dann richtet die Junge ihre Augen auf Nikolai Iwanowitsch, erhebt sich, tritt
zu ihm hin und, ihm die Hand auf die Schulter legend, lächelt ihn an:
„Monsieur, achetez absinthe... achetez absinthe pour nous...“ und beginnt,
seine Wange zärtlich zu streicheln.
- „Брысь, брысь!“ Nikolai Iwanowitsch versucht, sie mit den Händen abzu-
wehren und wird etwas nervös, aber sie lässt nicht locker, fasst ihn bei der
Hand und zieht ihn an sich, als solle er sie küssen.
- „Was willst du denn von mir, du Schwarze?“ murmelt er und versucht, seine
Hand aus der ihren zu befreien, was aber nicht so einfach ist, da sie über
ziemliche Kräfte verfügt. Sie hält ihn weiterhin fest und wiederholt immer
wieder nur die eine Phrase: „Achetez absinthe pour nous, achetez ab-
sinthe...“
- „Sie bittet Sie, ihr Anis-Wodka zu kaufen..“ übersetzt Peredrjagin.
- „Wodka? Und weswegen zerquetscht sie mir die Hand? Meine Güte,
welche Kraft die hat, das Miststück..“ und Nikolai Iwanowitsch wagt, einen
Seitenblick auf seine Frau zu werfen, die vor Eifersucht schon in Flammen
steht, abwechselnd blass und rot wird, bis es schließlich aus ihr heraus-
bricht:
- „So ein freches Ding! Und du, Nikolai Iwanitsch, was stehst du da herum
und hältst ihre Hand... Komm weg da, wir gehen...“
- „Aber sie hält mich doch fest, nicht ich sie...nun lass endlich los, Schwarze!“
und mit aller Gewalt reißt er seine Hand los. Die Indianerin lächelt bloß,
dabei ihre weißen Zähne zeigend, ergreift ihn bei der anderen und spricht
sanft: „Achetez absinthe, achetez absinthe...“
- „Nikolai Iwanitsch, also wirklich“, Glafiras Stimme überschlägt sich beinahe,
„ich habe dir bereits gesagt, dass wir gehen wollen..“
- „Ach, Herzchen... die hält mich fest...“
Er kämpft sich zum Ausgang und zieht dabei die Indianerin, die nicht loslässt,
mit sich aus dem Zelt. Diese, in der Meinung, dass Nikolai Iwanowitsch jetzt
einverstanden ist und sie zum Restaurant führen will, um den Absinth zu
kaufen, fällt ihm um den Hals, umarmt und küsst ihn, dabei sich bedankend:
„Merci, merci..alllons, allons..“
Jetzt allerdings gibt Glafira Semjonowna ihre bisher nur mühsam bewahrte
Zurückhaltung auf und hält den Zeitpunkt für gekommen, einzugreifen. Sie
schwingt den Regenschirm und, mit dem Ruf: „Ach, indianische Fresse“
haut sie diesen der jungen Frau über den Kopf. Nun ist ihrerseits die Indianerin
am Kreischen. Sie hat gesehen, wer diesen Schlag geführt hat, lässt
Nikolai Iwanowitsch los und krallt sich, mit blitzenden Augen und Unverständ-
liches murmelnd, in Glafira Semjonownas Regenmantel, was diese vollends
wild werden lässt. Sie fasst die Indianerin am Hemdkragen und ruft empört:
„Mich anfassen? Mich? Pass auf, indianisches Luder, ich kratze dir die
Augen aus...“
- „Glascha, lass, lass doch...“ versucht Nikolai Iwanowitsch, seine Frau an
der Schulter fassend, zurückzuziehen, aber es ist bereits zu spät.
Eine Sekunde später haben sich die Frauen bereits in den Haaren und
strampeln, einander kratzend, auf dem Gras.
- „Ach du liebe Güte, was ist das denn jetzt!“ ruft Nikolai Iwanowitsch entsetzt
und bemüht sich, die einander Festhaltenden auseinanderzuziehen,
„Landsmann, was stehen Sie denn da mit den Händen in der Tasche,
helfen Sie mir doch!“ schreit er Peredrjagin an.
Auch dieser beginnt daraufhin, zu ziehen. Er setzt sich auf die Indianerin und
versucht, deren Hände aus Glafira Semjonownas Haaren zu ziehen, aber in
diesem Moment kommt aus dem Zelt die Alte gelaufen, will der Jungen bei-
stehen und trommelt mit ihren Fäusten auf die Rücken aller drei Russen ein.
Das Ganze entwickelt sich zu einer regelrechten Schlägerei.
Mittlerweile, angelockt durch die Schreie, sind einige Kellner aus dem nahbei gelegenen Restaurant zum Ort des Geschehens geeilt, sich in ihre langen
Schürzen verwickelnd, und jetzt kommen auch noch Kinder und andere India-
ner herbeigelaufen.
Irgendwie gelingt es, die beiden ineinander verflochtenen Frauen zu trennen.
Beide schnappen nach Atem, rufen sich gegenseitig aber noch Drohungen zu.
- „Dreistes indianisches Geschöpf! Alte Nutte! Traut sich, meinen Ehemann
vor meinen Augen anzutatschen und zu knutschen! Ich zeigs dir, Drecks-
stück“, so Glafira Semjonowna.
Auch die Indianerin äußert sich, wird aber von unseren Protagonisten nicht
verstanden und droht mit den Fäusten. Der Hut Glafira Semjonownas liegt
auf dem Rasen herum, ganz zerdrückt, ebenso der geborstene Regenschirm.
- „Ach, wie peinlich, was für eine Schande...Glascha, Glascha! ....ist gut
jetzt ...“ mit diesen Worten übergibt Nikolai Iwanowitsch die zersauste
Glafira dem ebenso zerzausten und ohne Hut dastehenden Landsmann,
während er Hüte und Regenschirm aufliest.
Die Kellner und alle versammelten Zuschauer halten sich den Bauch vor
Lachen.
Als unsere Eheleute wieder zu sich kommen, fallen sie als erstes mit
Vorwürfen übereinander her.
- „Du hast doch gewollt, dass sowas passiert, hast das geradezu gesucht
und bist extra zu den Wilden gelaufen, du hast doch von nichts anderem
mehr gesprochen, als von den Wilden... und, bist du jetzt zufrieden, dass
es einen Skandal gegeben hat?“ ruft böse Glafira Semjonowna, ist aber
kurz vorm Heulen.
- „Herzchen, selber hast du auch schuld, du hast doch als erste der Indiane-
rin mit dem Regenschirm auf den Kopf gehauen...“
- „Ja, hab ihr eins übergezogen, aber nicht ohne Grund. Das war doch frech,
wie sie sich an dich herangemacht hat, erst eingeschleimt, um dich abzu-
küssen, und dann auch noch angegrabbelt... als ob ich das nicht gesehen
hätte... und die Hauptsache, alles vor der Frau, vor der gesetzmäßigen
Ehefrau, dies Flittchen...“
- „Woher sollte sie denn wissen, dass du meine Frau bist?“
- „Aha, willst sie wohl noch beschützen? Hat dir wohl gefallen, die Umar-
mung, hast dich wohl gern abknutschen lassen! Na ja, auf sowas hattest
du wohl gehofft, wolltest ja unbedingt hin zu ihr... jetzt tuts mir nur leid,
dass ich nicht dir den Schirm über die Rübe gezogen habe...“
- „Das stimmt doch gar nicht, deswegen wollt ich da nicht hin. Als ob ich das
nötig hätte, mich von einem schmutzigen und stinkenden Weibsbild ab-
knutschen zu lassen... nach Zwiebeln hat sie gerochen...“
- „Sei bloß ruhig, sowas gefällt ihnen doch, so ein schmieriges Flittchen ist
euch Männern gar nicht unangenehm, Hauptsache nicht die Ehefrau...“
- „Ach Glascha, Glascha, du bist einfach ungerecht. Die Reste von der Gans
wollt ich ihnen vorbeibringen, hab nie gesehen, wie die essen... und dann
sowas...“
- „So, das reicht jetzt! Lass uns erst zu Hause sein, dann red ich noch ein
Wörtchen mit dir...“
- „Vor allem solltest du dich, mein Herz, erst einmal beruhigen, wieder zu
dir kommen... so, wie du aussiehst, können wir nicht durch die Stadt laufen.
Lass uns hier ins Restaurant gehen, die haben bestimmt eine Toilette,
da machst du dich zurecht, bringst dein Kostüm in Ordnung, und dann
trinken wir etwas Kaltes...“, versucht Nikolai Iwanowitsch, seine Frau zu
überreden.
- „Nach diesem Auftritt soll ich hier noch ins Restaurant gehen? Du spinnst
wohl! Die Kellner werden uns auslachen, und dann?...“
- „Nein, werden sie nicht. Hier lacht man nur im Eifer des Gefechts, wenn
sie darüber nachdenken, werden sie verstehen, dass das kein Skandal,
sondern ein bloßes Missverständnis war. Lass uns gehen, Glascha, du
musst wieder zu dir kommen“.
- „Das ist mir peinlich, wie soll ich denn nach allem den Kellnern in die Augen
schauen? Die haben doch alle die Schlägerei gesehen“.
- „Spielt doch keine Rolle, wer kennt uns denn hier? - absolut niemand“.
- „Nein, nein, hör auf, zu bitten. Ich will nach Hause“.
Hastig beginnt Glafira, ihre Sachen in Ordnung zu bringen, als Peredrjagin
zu ihr tritt, der sich bis dahin über irgendetwas mit einem Kellner unterhalten
hat, und ebenfalls versucht, ihr gut zuzureden: „Ich würde Ihnen auch
empfehlen, ins Restaurant zu gehen und ein wenig zur Ruhe zu kommen.
Es gibt da ein abgeschlossenes Kabinett, das könnten wir nehmen.
Und was Ihre Befürchtungen bezüglich der Kellner betrifft, kann ich Ihnen
versichern, sie sind völlig unberechtigt - im Gegenteil, alles Mitgefühl ist
auf Ihrer Seite. Ich habe mich gerade eben mit einem Kellner darüber
unterhalten, wieviel Aufruhr das Verhalten der indianischen Frauen schon
verursacht hat, das mit Ihnen war nicht der erste Zwischenfall, so etwas
gabs auch schon mit anderen. Diese Weiber sind ziemlich unverschämt,
aber vor allem trinken sie und sind ausschweifend. Sowie nur irgendein Mann
auf der Bildfläche erscheint, machen sie sich an ihn heran und verlangen
Alkohol. Die Kellner wundern sich, dass die Polizei ihretwegen noch nichts
unternommen hat“.
- „Nein, nein, und hören sie auf, mich zu bequatschen... es reicht. Ich will
nach Hause...“ lässt sich Glafira nicht überreden, „Nikolai Iwanitsch, was
stehen Sie da herum... ab zum Ausgang...“ schreit sie ihren Mann an.
Nikolai Iwanowitsch bückt sich, hebt das Paket mit den Essensresten vom
Rasen auf und begibt sich langsam Richtung Ausgang, ihm folgt Peredrjagin,
und ganz zum Schluss Glafira Semjonowna.
- „Und wo bitteschön, frage ich, spielt sich ein solcher Skandal ab, wo dürfen
sich wilde Mädchen ungestraft an verheiratete Männer heranmachen, noch
dazu in Gegenwart der Ehefrauen? In Paris. In der zivilisiertesten aller
Städte!“ regt sich Glafira weiter auf, „Ja ja, das gelobte Paris! Nein,
bloß weg hier. Hören Sie zu, Nikolai Iwanitsch, schon morgen möchte ich
fort aus dieser verfluchten Stadt!“
- „Aber Liebling, wir haben doch die Ausstellung noch gar nicht richtig ange-
guckt! In der künstlerischen Abteilung waren wir noch gar nicht...“
- „Zum Teufel mit der und der ganzen Weltausstellung!“
- „Hast du denn vergessen, dass du im Louvre Magasin verschiedene
Sachen bestellt hast, die erst übermorgen fertig sind?“
- „Da geh ich morgen früh hin und überrede die Verkäuferin, dass sie mir
die bis zum Abend fertignähen. Abends abholen - und nachts: Marsch
nach Hause“.
- „Können wir wirklich nicht noch zwei, drei Tage auf der Ausstellung
bleiben?“ fragt Nikolai Iwanowitsch.
- „Damit wir wieder mit irgendwelchen Wilden aneinandergeraten? Ergebens-
ten Dank. Nur nach Hause“.
- „Du warst doch selber Schuld. Das war absolut nicht nötig, das Mädel mit
dem Schirm zu schlagen... ich hätte es schon selbst geschafft, mich frei-
zumachen...“
- „Dich zu befreien? Das hat dir doch gefallen! Sogar deine Augen haben vor
Geilheit so diabolisch geglitzert - das habe ich nicht ausgehalten. Wie
kann man das auch ertragen, wenn vor meinen Augen, vor der angetrau-
ten Frau, so eine Wilde...“
Glafira beschleunigt ihren Schritt. Am Ausgang, im helleren Licht der Later-
nen, bemerkt Nikolai Iwanowitsch, dass ihre Wange aufgekratzt ist und sogar
ein wenig blutet. Er sagt es ihr sofort und fügt hinzu: „Leg doch ein Taschen-
tuch darauf. Wahrscheinlich hat diese Indianerin da einen kleinen Pickel bei
dir entdeckt und bis zum Blut...“
- „Drauf gespuckt und das Tuch nehme ich extra nicht, gucks dir ruhig an,
das ist deine Strafe“, antwortet sie nur verärgert.
Da am Parkausgang eine ganze Reihe Kutschen wartet, mietet Nikolai
Iwanowitsch eine Equipage und nimmt nicht die Eisenbahn.
Als er seine Frau hineingesetzt hat, will er sich von seinem Landsmann
verabschieden, der im Flüsterton zu ihm spricht: „Ich habe Ihnen ja gesagt,
dass man nach Tula nicht mit dem eigenen Samowar fährt, und das war
heute der Beweis. Ohne den Samowar in Form Ihrer Frau hätten wir keinerlei
Unannehmlichkeiten erlebt, sondern im Gegenteil einen wunderbaren Abend
verbringen können, womöglich sogar in Gesellschaft von Indianerinnen.
Nun, machen Sie’s gut, Ihre Adresse habe ich und versuche morgen früh,
Sie zu erreichen“.
Mit einer Verbeugung verabschiedet er sich von Glafira Semjonowna und
Nikolai Iwanowitsch.