An unserem Bahnhof erschienen längliche Häuschen auf Rädern.
Keine Planwagen, aber auch keine Waggons. Rot, mit grünen Fensterläden,
auf dem Dach ein Schornstein, aus dem Schornstein Rauch.
Auf den Klappstufen eines dieser Häuschen saß ein Zwerg mit großem
Kopf und roten Augen und rauchte mürrisch eine Pfeife.
Weiter hinten im Hof standen noch mehr Waggon-Häuser,
aber vergittert. Von ihnen kam ein strenger, sehr strenger
Geruch nach Zoo.
Auf Plakaten gab es Wunder zu bestaunen: drei Löwen sprangen über eine
Dompteurin und spielten dann Blindekuh mit ihr. Ein Walross jonglierte mit
brennenden Petroleumlampen und Billiardkugeln. Das Walross -
so ein schwerfälliger Kerl...wer hätte das gedacht!
Pudel Flax löst Rechenaufgaben mit Addition und Subtraktion. Naja, nichts
Besonderes, ich kann sogar dividieren und multiplizieren. Ich lege nur keinen
Wert darauf, berühmt zu werden.
Miss Karawella vollführt auf einem ungesattelten Steppenhengst
Reiterkunststücke, zum Beispiel Matrosentänze und ...Stop!
Renn’ doch nicht immer so weit voraus, Mikki, sonst kommst du
völlig aus dem Konzept - immer diese alte Hundeangewohnheit!
***
Sinas Papa nahm eine Loge: für mich und für Sina. Loge: das ist so etwas
wie eine Hundehütte, nur ohne Dach und mit buntem, stinkendem Stoff
umwickelt. Die Stühle sind hart und zum Klappen, weil der Zirkus
immer unterwegs ist.
Das Orchester war grausam. Musik kann ich sowieso nur schwer ertragen,
besonders von Grammophonen. Aber hier: einer, ein Skelett, spuckt in
die Flöte, ein anderer, so ein Dicker, steht vor einer riesigen Geige und sägt
mit einer Art Lineal auf ihr herum. Der Dritte klopft wie irre mit Stöckchen auf
eine Trommel und der Vierte, in einem lila Hühnerkostüm, fährt von links
nach rechts über das Klavier und springt dabei auf und ab.
Ogottogott - „Ergebensten Dank“, wie Sinas Onkel, der Junggeselle,
immer sagt, wenn man ihn verheiraten will.
Die Clowns - einfach angemalte Deppen. Meiner Meinung nach
bemühen sie sich umsonst, Idioten zu spielen, weil sie wirklich
welche sind. Würde vielleicht ein intelligenter Mensch sein Gesicht
freiwillig für eine Ohrfeige hinhalten, sich in schmutziger Sägespäne
wälzen und dann den Butler ärgern, der ihn mit dem Staubsauger
säubern will?
Überhaupt nicht lustig.
Gefallen hat mir nur der Clown, dem eine Sonne hinten auf den
breiten Hintern gemalt war: dem ging immer die Haartolle hoch...
also die Ohren, das verstehe ich, aber die Haare!
Äußerst interessante Nummer.
Der dicke Hengst war ebenfalls nix.
Er war zwar nicht gesattelt, hatte aber einen so breiten Rücken, sogar mit
einer Vertiefung, dass du, wenn du willst, darauf tanzen kannst wie im Bett
unserer Pensionswirtin. Beim Springen war er faul, so wie eine Kuh, die
Walzer tanzt. Miss Karawella ritt vorsichtig an die Barriere, tat aber so,
als sei sie die beste Kunstreiterin der Welt. Obwohl, ihr Kostüm war toll: oben
nichts, und in der Mitte grüne und gelbe Glasperlen. Aber warum dauerte die
Nummer so lange, der Hengst war am Ende derart durchgeschwitzt, dass ich
niesen musste. Uninteressant.
Dann wurden Gitter und Käfige aufgestellt - und die Löwen erschienen.
Kamen herein - und gähnten. Wirklich wilde Tiere. Sina hat sich ein wenig
erschreckt (na, eben Mädchen), aber ich saß ja neben ihr. Wovor hätte sie
sich fürchten sollen? Lange hatten die Löwen keine Lust, über die Domp-
teurin zu springen. Gebettelt hat sie und gefleht, sie am Hals gekitzelt und
ihnen etwas ins Ohr geflüstert. Erst als sie die Peitsche hinter ihrem Rücken versteckte, waren sie einverstanden und sprangen.
Dann verband sie den Löwen die Augen mit gelben Bändern und nahm ein
Glöckchen in die Hand: das Blindekuhspiel begann. Der erste Löwe stand auf
und legte sich nach drei Schritten wieder hin. Der zweite schnupperte und
ging direkt zu ihr - Betrug!
Ich hab’s genau gesehen: in der Hand hielt sie ein Stückchen Fleisch.
Uninteressant.
Dann trat eine Familie holländischer Artisten auf. Der Vater fuhr nur auf dem
Vorderrad Fahrrad (es war ein Einrad), die Mutter nur auf dem Hinterrad
(ebenfalls Einrad), der Sohn hüpfte oben auf einem großen Ball und die
Tochter kreiste in einem Reifen durch die Manege (mit dem
Hintern zu uns)... das war doch mal was!
Hinterher flogen Teller, Messer, Lampen, Regenschirme, Jungs und Mädchen.
Oi. Vor Spaß habe ich sogar gebellt!
Am Ende errichtete die Familie eine Pyramide. Unten Papa und Mama, auf
ihren Schultern zwei Töchter, dann der Junge, auf seinen Schultern ein Hund,
auf dem Hund ein Kätzchen, und auf den Schultern des Kätzchens ... ein
Spatz! Rums: und alles bricht zusammen, alle purzeln auf den Teppich und
verschwinden hinter dem Vorhang. Bravo! Dacapo! Wuff-wuff!
***
In der Pause war es noch lustiger. Die Erwachsenen gingen mit den älteren
Kindern hinter den Vorhang, um Pferde und andere Säugetiere zu betrachten,
die ganz kleinen Kinder aber krabbelten aus allen Ecken und Logen in
die Manege und führten ihren eigenen Zirkus auf.
Ein Mädchen mit grüner Schleife spielte ein dressiertes Pferd: auf
allen Vieren galoppierte sie an die Barriere, warf den Kopf zur Seite
und schlug mit allen rechten Beinchen aus.
Die Jungs waren natürlich die Löwen, wurden aber über ihr Spiel wirklich wild
und schrien und spuckten, bissen und bewarfen sich mit Sägemehl.
Zwei schlugen sich sogar - der erste gab dem anderen eine Ohrfeige - wie
die Clowns - der zahlte sie zurück - nicht wie die Clowns. Ich fegte durch die
Manege und tat, als ob ich alle beißen wollte.
Der Zwerg im fliederfarbenen Rock mit Kupferknöpfen trat herein und
klingelte mit einem Glöckchen: Dsin-Dsin, Manege frei,
die Vorstellung geht weiter!
Einer der kleinen Jungen wollte partout nicht weg - bis seine Mutter den
kleinen Löwen ohrfeigte und am Händchen wegführte. Was ein Löwe!
***
Das Walross war klasse. Zuhause muss ich unbedingt auch probieren, mit
brennenden Petroleumlampen zu jonglieren. Gut, meine Nase ist nicht so
breit, aber was soll’s, ich kann ja kleinere Lampen nehmen.
Ich bin hinter den Vorhang geflitzt und habe gesehen, dass das Walross in
seinem Verschlag eine Zinkbadewanne hat. Nach der Vorstellung bekam es
lebende Fische, Butterbrote mit Lebertran und ein Gläschen Wodka. Prost!
Ich konnte beobachten, dass eine ganze Reihe Jungs oben auf den Zeltrand
geklettert war, um sich das Spektakel umsonst anzusehen. Der Zwerg aber
lief mit einem langen Stab im Kreis herum und ließ einen nach dem anderen herunterpurzeln.
Dann trat der Fakir auf. Fakir ist ein Mensch, der sich selber zerschneidet,
ohne dass Blut fließt, und der sich dabei wohlfühlt. Ich vermute, er lässt sich
für die Vorstellung irgendwie einfrieren. Er durchbohrte seine Lippen mit einer Stricknadel und schlug sich einen Nagel in die Achselhöhle. Ich bin fast
durchgedreht, meine Nerven hielten das nicht aus. Das Fürchterlichste war
allerdings, dass er sich von einem dicken Soldaten unter den Zuschauern
dessen Taschenuhr geben ließ und sie ‘runterschluckte. Nur das Ende der
Uhrenkette baumelte noch aus dem Mund. Er bat das Publikum, ruhig zu sein -
und alle konnten das Ticken der Uhr in seiner Brust hören.
Schrecklich. Ein Schauder krabbelte mir über die Haut.
Ich glaube, das war alles.
Ganz zum Schluss sprang ein winziges, zottiges Pferdchen in die Arena,
ein Glöckchen umgebunden und einen Handfeger auf dem Kopf.
Ich hatte nicht gewusst, dass es so eine Rasse von
Schoßhündchen-Pferden gibt. Wunderhübsch, wie es durch einen
Reifen sprang und sich auf die Hinterbeine stellte.
Sina war ganz begeistert. Ich auch.
Eigentlich unverständlich, warum Sinas Papa ihr nicht solch ein Pferdchen kauft.
Wir würden es vor die kleine Kutsche spannen und über den Strand rollen.
Das wäre etwas anderes, als auf dem Esel im Schneckentempo zu
traben. Alle Leute würden sich wundern und ich bekäme viel Zucker.
„Wer fährt denn da?“ - „Mikki und Sina!“ - „Und wessen Pferd ist das?“ -
„Mikkis und Sinas!“. Einfach wunderbar.
Jetzt bin ich müde. Ich kann nicht mehr. Schreibe nur noch zu Ende
und laufe an den Strand, Zirkus spielen. Bumm-bumm!
Der berühmte
Dompteur von Doggen und Bulldoggen
Artist und
Kunstreiter
Fox Mikki